Albert Camus

Heute vor 50 Jahren starb Albert Camus bei einem Autounfall. Noch heute ist er einer der bekanntesten Autoren Frankreichs und wird gelesen wie eh und je. Die philosophischen Fragen, die er sich gestellt hat, haben immer noch Bedeutung, z.B. die nach dem Selbstmord als Ausweg aus dem Leid des Lebens. Ich kann gar nicht glauben, dass hier im Forum noch nichts zu Camus steht und mache mal eine kleine Zusammenfassung von seinem Werk. :slight_smile:

Biografie
Geboren wurde Camus 1913 in Algerien, sein Vater starb noch während des 1.Weltkrieges. Prägend war seine eher schwierige Beziehung zur Mutter, die Analphabetin war und außerdem kaum sprach.
In den 30er Jahren erkrankte er an Tuberkulose. Er wurde Mitglied der kommunistischen Partei, wurde aber nach wenigen Jahren aus der Partei ausgeschlossen, weil sich seine eigene Ideologie mittlerweile nicht mehr mit dem Parteiprogramm deckte. Während des zweiten Weltkriegs war er Journalist, u.a. bei Paris Soir, kurz danach feierte er erste Erfolge mit seinen Büchern.
1957 erhielt er den Nobelpreis für Literatur (und nahm ihn anders als Sartre auch an). Am 4.Januar 1960 stirbt er bei einem Autounfall und liegt heute in seinem langjährigen Wohnort Lourmarin im Vaucluse begraben.

Das Absurde
Sein bekanntestes Buch ist L’étranger, der Fremde, das 1942 veröffentlicht wurde. Protagonist ist Meursault (wahrscheinlich kommt der Name von dem Ausruf „Meurt, Sot!“ „Stirb, du Tor!“). Einer der berühmtesten Romananfänge der Welt ist der zu L’étranger: „Aujourd’hui, maman est morte. Ou peut-être hier, je ne sais pas.“
Meursault wirkt auf den Leser wie ein kaltherziger Mensch, der keine Gefühle hat. Die Wahrheit ist aber, dass er keine abstrakten Gefühle erleben kann, sondern nur, wenn sie ihn körperlich erreichen. So kann er weder Liebe noch Mitleid oder Glück benennen. Er hat eine Freundin, Marie, die ihn mehrfach fragt, ob er sie heiraten möchte. Meursault sagt, das sei ihm egal, er würde, wenn sie das gerne möchte. Sein Nachbar, Salamano, misshandelt seinen Hund und Meursault greift nicht ein, weil er sich keine moralischen Fragen stellt und sich den Zwängen der Gesellschaft entzieht. Er hat auch in Raymond einen eher zweifelhaften Freund. Eines Tages begleitet er ihn in dessen Haus am Strand. Dort kommt es zu einem Streit mit zwei Arabern und als der eigentlich schon vorbei ist, greift Meursault zur Pistole und erschießt einen von ihnen mit fünf Schüssen.

Dann beginnt Teil 2 des Buches: Meursault ist im Gefängnis, wird verhört und es wird verhandelt, aber er kann nicht sagen, warum er den Araber getötet hat. Es gibt keinen Grund, er sagt immer nur „das war wegen der Sonne“ (Wieder eine körperliche Empfindung). Vor Gericht wird seine Lebensgeschichte ausgebreitet und darüber diskutiert, warum er denn nicht bei der Beerdigung seiner Mutter geweint hat etc. und das gegen ihn verwandt. Am Ende steht die Todesstrafe. Erst kurz vorher findet Meursault Erlösung, er fürchtet sich nicht vor seiner Strafe. Und das hat einen Grund:

Für Camus ist das Leben absurd. Es hat keinen Sinn und führt nirgendwo hin, es gibt keinen Gott und daher kein Leben nach dem Tod. Der Mensch aber, der genau dieses Absurde erkennt, kann es überwinden und dadurch glücklich sein. In seinem Essai Der Mythos des Sisyphos greift Camus diesen griechischen Mythos auf um das Absurde zu erklären. Für ihn ist Sisyphos ein glücklicher Mensch, weil er die sinnlose Aufgabe, die ihm aufgebürdet wurde, ohne sie zu hinterfragen erledigt und immer wieder den Stein den Berg hochrollt und damit aber trotzdem gegen die Absurdität kämpft (das führt Camus in seinem Werk L’homme révolté aus, auf politischer Ebene spielt das in Les justes eine Rolle). Der Fehler der Menschen ist, dass sie in einer sinnlosen Welt nach Sinn streben. Nur wer damit aufhört, kann ein würdevolles Leben führen.

Wichtiges Thema ist dabei der Suizid, der kein Ausweg darstellt, weil das bedeutet, dass der Mensch praktisch vom Absurden besiegt wurde.
Meursault bewegt sich wie ein Fremder in der Welt, weil er nach dem Prinzip des Absurden lebt. Es benennen und akzeptieren kann er aber erst im Gefängnis.

Camus richtet sich wie alle Existenzialisten gegen die Religion. Dabei beruft er sich auf die Theodizee, die Rechtfertigung Gottes. Ein Gott, der selbst unschuldige Kinder sterben lässt (wie in Die Pest), kann es nicht geben.

Das Schöne an seinen Romanen und Theaterstücken ist, dass man sie sehr gut verstehen kann. Kurze, klare Sätze und man hat die Philosophie dahinter eigentlich verstanden, auch wenn man das selber nicht erkennt. Camus sagte einmal sowas wie „Wer Philosoph sein möchte, muss Romane schreiben“ und das hat er gut hinbekommen.

angucken und anhören und lesen:
Anlässlich seinen 50.Todestages widmen ihm die Medien zahlreiche Sendungen.

1)Heute abend auf Arte (23:20 Uhr bis 0 Uhr) läuft ein Porträt:

2)NDR Kultur sendet das Hörspiel zum Roman „Die Pest“ in drei Teilen mit je einer Stunde Laufzeit:
06.01.2010, 20.00 Uhr
13.01.2010, 20.00 Uhr
20.01.2010, 20.00 Uhr
Hier ist ein Livestream

3)Der Nouvel Obs hat vor einiger Zeit Camus als Titelthema gehabt und publiziert auch auf der Internetseite einige sehr gute Artikel, u.a. zu der Frage, was Camus wohl heute zum Laizismus sagen würde etc.

4)Nicolas Sarkozy wollte vor einiger Zeit die Gebeine Camus’ nach Paris ins Panthéon verlegen.
Der Deutschlandfunkhat zwei Experten diskutieren lassen und das Gespräch verschriftlicht. Außerdem sendet der DFunk heute mehrfach in der Reihe Kalenderblatt ein kurzes Porträt, auch das ist verschriftlicht

Und zu guter Letzt möchte ich euch das hier nicht vorenthalten:

Dazu muss man gar nichts mehr sagen.

Tja, unser Präsident ist sehr belesen, das kann man ihm nicht absprechen! :mrgreen: :top:

Ja, Sarko an sich ist schon ein absurder Charakter.

Von Camus habe ich L’étranger für die Schule lesen müssen, das mir aber sehr gut gefallen hatte… Dann habe ich La Peste angefangen und musste leider schnell aufhören, weil es mir zu schwer war :blush:

Mit La Peste ging es mir ähnlich wie dir, mislep. Aber L’étranger hat mir nicht so gut gefallen. Ich will nicht sagen, dass es ein schlechtes Buch ist, aber mit Camus’ Philosophie des Absurden kann ich nicht viel anfangen und Meursault finde ich sehr unsympatisch, weil mir sein Verhalten sehr fremd ist.

L’étranger ist auch eher kein Unterhaltungsroman mit einem Helden, in dem man sich wiederfinden kann. Ich finde die Theorie des Absurden aber durchaus nachvollziehbar. Mir gefällt das Streben nach Wahrheit und auch der Gedanken einer Revolte gegen die Absurdität, obwohl das im Grunde zu nichts zu führen scheint. Es ist sehr nobel, dafür Energie aufzuwenden und so glücklich zu werden.

Hat diese Absurdität für dich auch einen Namen ?

Inwiefern?

Ist das Leben an sich absurd?
Ist die Liebe absurd?
Sind die Produktionsverhältnisse absurd?
Ist das Schulsystem absurd?

Absurdität steckt ja als Eigenschaft in den Dingen und ist keine Qualität an sich. :unamused:

Es geht doch um das Leben. Steht im Text oben.

Es ist schon eine Weile her, dass ich das Buch gelesen habe, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass Meursault Energie aufwendet und bewusst gegen das Absurde revoltiert. Mir ist sein Desinteresse an seinen Mitmenschen und die Unfähigkeit zu Mitgefühl einfach sehr fremd und auch unsympatisch.

:open_mouth: Ooh Man sollte immer von oben nach unten lesen. :smiley:

Du hast wohl recht. Meursault revoltiert anders als Sysiphos. Aber eine gewisse Revolte ist erkennbar, am Ende.
Die Revolte gegen das Absurde kann nur dann stattfinden, wenn man sich der Absurdität des Lebens bewusst ist. Deshalb erscheint Meursault auch fast bis ganz zum Schluss als gleichgültig und auch ernergielos. Er fängt erst an sich aufzulehnen, als es schon zu spät ist, nämlich nach dem Todesurteil. Von da an wirkt er sehr ausgeglichen, er denkt an das Leben draußen und an die Schönheit eines sonnigen Abends, aber es ist schon zu spät. Die Revolte zeigt sich im letzten Satz: „Pour que tout soit consommé, pour que je me sente moins seul, il me restait à souhaiter qu’il y ait beaucoup de spectateurs le jour de mon exécution et qu’ils m’accuueillent avec des cris de haine.“

Meine kleine Frage zur Revolte gegen die Absurdität, die mir bis hierher sehr abstrakt erscheint:
Könnte diese Revolte nicht auch rechtfertigen Luxuswagen in Berlin oder HH anzuzünden. Weil irgendwie ist es schon absurd, dass in Zeiten der Krise gerade der Finanzmärkte die dicken Autos von sich aus nicht weniger werden :wink:

Du Scherzkeks.

OK ich polemisiere vielleicht ein bisserl:wink:
Stammt aber nicht von Camus der ~ Spruch: Ich empöre mich (rebelliere) also bin ich ? Sozusagen ein Teil des Fundaments von 68? Das sich auch in folgender Parole niederschlägt: Wir sich nicht wehrt, der lebt verkehrt :sunglasses:

Camus unterscheidet aber Revolte von Revolution.
Revolutionäre wollen herrschen, sie wollen keine Einheit schaffen, sondern Totalitarismus. Revolution hat mit Nihilismus zu tun. Revolte hingegen ist gewaltlos. (Letzter Satz des Essais « Révolte et Révolution »: « Leben um Leben zu lassen um zu schaffen was wir sind. »).
Eine Revolte setzt Grenzen und zeigt sich gleichzeitig auf. Der revoltierende Mensch muss dieses Maß erkennen und nicht vom Absoluten ausgehen, sondern sich an der Wirklichkeit orientieren. Das führt dann zur Idee hin und nicht andersrum.

In 68 ging es doch auch sehr um extrem linkes Denken und vor allem Sartre hat sich hinter einen Massenmörder wie Stalin gestellt nur um gegen Faschismus zu sein. In der Zeit hat sich Camus deshalb auch von ihm abgewandt, weil der humanistische Gedanke, den die Revolte laut Camus in sich trägt, verloren gegangen ist hinter ideologischer Verblendung. Bei Revolte geht es um Wahrheit, um Gemeinschaft und um Respekt vor dem Leben der anderen, so absurd und sinnlos es auch sein mag. Die Absurdität des Lebens betrifft aber den einzelnen und daher hat kein anderer ein Recht darauf, über das Leben der anderen zu entscheiden. Das steckt in dem « Je me révolte, donc nous sommes. »

:open_mouth: Mich wundert, dass mich bisher keiner korrigiert hat. Natürlich war Camus 1968 schon tot und Stalin war auch eher. Außer der historischen Reihenfolge dürfte der Rest aber stimmen :wink:

Ein bisschen viel Schwarz und Weiß find ich in dieser Schilderung.

Die Revolution als à priori schä(n)dlich darzustellen ist wenig logisch, da doch gerade die Französische Revolution angesichts ihrer Bedeutung für die Freiheit des Individiums - ein Anspruch den auch du hier ganz hoch hängst - von entscheidender Bedeutung war. Das Revolutionen gewalttätig sein können ergibt sich zwangsweise daraus, das sich derjenige wehrt, der durch die Umwälzung seine Macht und Einfluss zu verlieren droht. Muss aber nicht sein. Wenn ich nur an den Erich denke und wie er seine DDR mit Geschenkpapier und Schleifchen übergeben hat. (Ok es war eher Packpapier und Paketschnur :wink: )

Revolte steht nicht konträr zu Revolution. Alleine schon deswegen weil Revolte an sich nichts ändert sondern nur auf etwas hinweist, das evtl geändert werden sollte. Auch lässt sich Revolte nicht à priori als gewaltfrei auszeichnen, alleine schon aufgrund der Tatsache, dass der Gewaltbegriff kein absoluter ist; Wenn du dich etwa in Gorleben vor einen Castorbehälter setzt, dann wird dir das persönlich als friedlicher Widerstand erscheinen, dem Staatsanwalt hingegen als Gewaltanwendung in Form von Nötigung (eines Kastorbehälters :unamused: )

Das kling alles sehr sehr schön. Drum würd mir schon eine konkretes Beispiel wünschen. Wie sieht dieser gesellschaftliche Ansatz aus der sich durch das Rebellieren des Einzelnen (je) zum Ganzes (nous) fügt

Weil Ok es ehrt das Ideal, doch der Mensch ist ein anderer. Oder wie Brecht schon zurecht feststellte: „Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral“. Will heißen so absurd wie das Leben erscheint und so sehr es dem Menschen möglich ist sein Leben in die Hand zu nehmen, es bleibt ihm immer eine Ringen um Existenz.

So kenne ich die meisten Humanisten als gut versichert gegen alle Absurditäten des Lebens, wohl genährt mit Familie als Trutzburg und einem Einkommen, das es ihm erlaubt sich ein idealistisches Weltbild zu leisten

soso du wolltest uns also hinters Licht führen :neutral_face: