Nancy

Nancy ist eine Stadt im Ostenfrankreich, ehemalige Hauptstadt des Herzogtums Lothringens und bist 2015 auch der Region Lorraine. Auf dem kleinen Gemeindegebiet (15km²) leben 105.000 Einwohner, im Ballungsraum jedoch mehr 285.000. Die Stadt wurde schon hier kurz erwähnt, aber ich finde, dass sie ein eigenes Thread verdient. Die Stadt hat nämlich viel zu bieten. Ehemalige Hauptstadt, Zentrum der Jugendstilbewegung, Kunstmuseen, von der Weltkulturerbe als erklärte Sehenswürdigkeiten, grosse Studentenstadt (+ 50.000 Studenten), 1 Nationaloper, verschiedene Kinos, Theater und Konzertsäle usw.

Fangen wir mit der Altstadt an.

Nancy ist eine relativ junge Stadt, sie wurde nämlich erst im 11. Jahrhundert gegründet. Die ältesten Sehenswürdigkeiten gehe also auf das Mittelalter zurück. Angefangen vom Stadttor „port de la Craffe“

In der Renaissance wurde die Stadt leicht erweitert und hinter dem Porte de la Craffe ein neueres Tor errichtet : porte de la citadelle.

Aus der Renaissance und dem 17. Jahrhunder stammen viele Stadtpalais, die die Altstadt prägen. Ähnlich sieht es im pariser Marais-Viertel aus. Die Lothringer Adel war damals wie im ganz Europa stark vom Pariser Lebenstil. Französische Architekten wurden auch von Lothringern beauftragt, prunkvolle Palais zu bauen, wie Germain Boffrand.

Hier der Innenhof vom Hôtel d’Haussonville, heute ein echtes Hotel zum Übernachten.

Das Tor vom Hôtel de Chastenoy

Besonders interessant ist das Hôtel Ferraris. Das Palais gehörte der Familie Ferraris und wurde Anfang des 18ten Jahrhunderts vom oben genannten Germain Boffrand gebaut. Zwei Jahrhunderte später wurde es einem Automechaniker vererbt, der den Innenhof für seine Autos gebrauchen wollte. So verkaufte er 2 Statuen, die zum Brunnen im Innenhof gehörten und ihn störten. Die Werken verschwanden nach Amerika. Die Nachricht schockierte die ganze Stadt, die Angst bekam, dass sich das ganze Kulturerbe langsam auflösen konnte. Und so wurde alles mögliche unter Denkmalschutz gesetzt. Somit ist Nancy heute die Stadt Frankreichs mit dem 4t grössten Anzahl an denkmalgeschützten Objekten (nach Paris, Bordeaux und La Rochelle). Das Palais ist heute renovierungsbedürftig und ist Sitz der regionalen Abteilung des Kulturministeriums, die sich mit dem Inventar des Kulturerbes beschäftigt.

Das Treppenhaus mit schön bemalter Decke

In der Nähe das Hôtel des Loups, für den Jagdmeister des damaligen Herzogs gebaut. Deswegen die Deko mit wilden Tieren. Heute als Miteigentum von Privatpersonen bewohnt.

Fortsetzung folgt…

In der Altstadt findet man das Palais des Ducs de Lorraine, wo die Herzöge residierten. Es beherbergt das Musée de Lorraine, das gerade und für eine Weile noch wegen umfrangreiche Bauarbeiten und Umgestaltung geschlossen bleibt. Bemerkenswert ist das Hauptportal.

Gleich daneben steht die Chapelle des Cordeliers, Ruhestätte des Familie von Lothringen. Gratis zugänglich, sie zeigt Meisterwerke spätgothischer und renaissance Grabmäler. Sowie die achteckige Kapelle, in der die Familienmitglieder ruhen.

Einige Gassen bevor wir die Altstadt verlassen

Bevor wir die Altstadt verlassen, müssen wir die Basilika Saint-Epvre besuchen. Sie steht da, wo die erste Kirche von Nancy im 11ten Jahrhundert schon stand, aber das heutige Gebäude stammt aus der 2ten Hälfte des 19ten Jahrhundert. Neugothischer Stil. Die Kirche ist leider nur selten offen, da die Pfarre darauf besteht, dass die Kirche nicht unbeaufsichtigt offen bleibt. Es muss also ein Freiwilliger aus der Pfarre verfügbar sein. Gute Chancen hat man Samstags von 16.30 bis 18Uhr. Da ist nämlich Beichtezeit vor dem Gottesdienst und die Kirche ist also offen.
Bemerkenswert sind die vielen Glasfenster, insgesamt 2300m².

Am Place Saint-Epvre und in den Gassen rund herum findet man jede Menge Bars und Restaurants, um Lothringer Spezialitäten zu essen und trinken ! :fete:

Wenige Meter von der Basilika entfernt liegt der Place de la Carrière. Er wurde in der Renaissance an der Stelle der Stadtmauer gebaut und wurde im 18ten Jahrhundert komplett umgebaut. Der Name hat weder mit einer Karriere noch mit einem Steinbruch zu tun, sondern leitet sich von der altfranzösischen Redewendung „se donner carrière“ ab, was soviel bedeutet wie „Spass haben“. Dort wurden nämlich Jahrmärkte, Spiele und Wettbewerbe aller Art organisiert.
Am nördlichen Ende steht das Palais du Gouvernement. Der Herzog von Lothringen konzipierte es als „nouveau Louvre“ am Anfang des 18ten Jahrhundert, konnte doch nicht weit im Projekt gehen. Bald zerfiel das Gebäude. Stanislas wird 1737 Herzog von Lothringen, lässt den Platz komplett umbauen und das Palais renovieren. Es dient dem Kanzler, der die Politik im Namen des französischen Königs führt, während Stanislas in Lunéville residiert und nur offiziell Herzog ist. Später wird das Palais von der Armee benutzt, heute gehört es der Stadt, die es im neuen Musée de Lorraine (im benachbarten Palais des Ducs de Lorraine) integrieren will. Man kann es gelegentlich besichtigen.

Vom Balkon einen Blick auf den Platz

Einige Eindrücke aus dem Place de la Carrière

:merci: für den Reisebericht, das macht echt mal wieder Lust auf die Stadt. Vor allem da Du uns ja noch Ecken gezeigt hast, die man noch gar nicht so kannte.

Danke für deine Eindrücke, das sind tolle Fotos geworden!
Wäre der zweite Lockdown nicht gewesen, hätte ich Nancy während meines Auslandssemesters in Straßburg auch besucht. So blieb es leider nur ein Plan. :unamused:

excellent, merci bien Mislep für die schönen Bilder und die tollen Erklärungen… :coucou:

Am Ende des Place de la Carrière steht der Arc Héré. Emmanuel Héré war der Architekt von Herzog Stanislas, der die Stadt (und lothringen) im 18ten Jahrhrundert geprägt hat. Durch den Arc gelangt man zum berühmten Place Stanislas.
An den Seiten vom Arc stehen 2 Statuen von berühmten Lothringer : Emmanuel Héré (1705-1763) und der Künstler Jacques Callot (1592-1635)

Ende des 16ten Jahrhundert wird die Altstadt von Nancy zu klein. Der Herzog Charles III lässt im Süden ausserhalb der Stadtmauer eine Neustadt errichten. Beide Stadtteile sind nicht so gut verbunden, weil die Stadtmauer dazwischen steht. Frankreich verbietet dem Herzog, die Stadtmauer abzureissen… Vor allem nach dem Dreissigjährigen Krieg steht Lothringen nämlich stark unter Einfluss von Frankreich, das versucht, das Land zu anektieren. Erst nachdem die Familie von Lothringen das Land verlässt (um Kaiser zu werden) und ein Freund Frankreich (Stanislas, Schwager des französischen Königs) den Thron von Lothringen besitzt, kann sich alles ändern. Die Stadtmauer werden abgerissen und das leere Feld, das davor lag, kann gebaut werden. So entsteht der Place Stanislas. Gegenüber vom Arc Héré steht das Rathaus. Auf dem Platz auch die Oper und das Kunsthistorische Museum sowie verschiedene Cafés. Die Zugänge zum Platz wurden von schönen Gittern von Jean Lamour verschönert. An zwei Ecken stehen auch Brunnen.

gleich neben dem Place Stanislas findet man einen Stadtteil rund um den Place d’Alliance, der auch im 18ten Jahrhundert umgebaut wurde.
Der Place d’Alliance ist auch eine Idee von Stanislas, und er gedenkt des Bündnisses zwischen Frankreich und Österreich 1756.

Das Porte Sainte-Catherine

Und langsam kommen wir ins Quartier Charles III, die vom Herzog Charles III gewollte Neustadt. Porte Saint-Georges

Gleich hinter dem Tor steht die Kathedrale. Jahrhunderte lang gehörte Nancy dem Bistum von Toul. Aus politischen Gründen bekam Nancy sein Bistum erst 1777, obwohl die Herzöge schon seit Mitte des 16ten Jahrhunderts versuchten, ein eigenes Bistum zu bekommen. Der Bau der Kirche, die später Kathedrale werden sollte, begann 1703. Die Kathedrale ist eine Mischung aus französischem und italienischem Stil. Berühmte Künstler haben dazu beigetragen : Hardouin-Mansart, Boffrand, Lamour…

Die angeblich beeindruckende Orgel ist gerade wegen Renovierungsarbeiten komplett bedeckt.

Wow! Irgendwann wollen wir auch mal da hin, aber für einen Kurztrip ist es uns zu weit und auf dem Weg in den Süden, bleibt keine Zeit…

Danke für den Bericht! :merci:

Das Quartier Charles III ist touristisch gesehen vielleicht weniger interessant als die Altstadt und die Unesco-Plätze. Es ist aber der lebendigste Stadtteil von Nancy. Dort sind die Haupteinkaufsstrassen, Kinos, ein Konzertsaal, die Markthalle, jede Menge Lokale, Diskos usw. Architektonisch ist es sehr heterogen.

La Porte Saint-Nicolas

Die Kirche Saint-Sebastien

Porte Stanislas

Salle Poirel

Ach herrlich diese Bilder aus Nancy. Wenn man zwischen dem 17.06 und 11.09. nach Nancy kommt kann Abends auf dem Place Stanislas eine Wunderschöne Lichtshow genießen, vom 17.06.-15.08. jeweils um 22.45Uhr vom 16.08.-11.09. je nach Dunkelheit schon ab 22Uhr.

Man kann es auch recht gut in der Webcam schauen, dann allerdings ohne Ton. Webcams - Ville de Nancy

Danke für den Tipp, Jollylolly! Was Feines fürs Heimkino, wenn man schon nicht da sein kann. :wink:

[quote=„jollylolly“]
Ach herrlich diese Bilder aus Nancy. Wenn man zwischen dem 17.06 und 11.09. nach Nancy kommt kann Abends auf dem Place Stanislas eine Wunderschöne Lichtshow genießen, vom 17.06.-15.08. jeweils um 22.45Uhr vom 16.08.-11.09. je nach Dunkelheit schon ab 22Uhr.

Man kann es auch recht gut in der Webcam schauen, dann allerdings ohne Ton. Nancy la ville — Ville de Nancy

Im November/Dezember gibt es auch ein Lichtshow zum Thema Nikolaus auf dem Place Stanislas. Der Heilige Nikolaus ist nämlich der Schutzpatron Lothringens und bis vor einigen Jahrzehnten war der Nikolaustag der Tag der Geschenke für Kinder und das wichtigste Fest der Winterzeit in Lothringen. Heute bleiben noch viele Nikolaus-Traditionen erhalten, wie zB der Nikolausumzug. Nikolaus zieht in der Stadt herum, begleitet von Figuren aus seinem Leben. In den kleinen Dörfern schenkt man dem Nikolaus ein Glas Alkohol und seinem Esel eine Karotte. Dass Nikolaus betrunken nach Hause kommt, kommt angeblicht nicht selten vor… :smiley:
In Nancy läuft das Ganze anders. Am Samstag Abend geht Nikolaus durch die Altstadt bis zum Rathaus, wo er vom Bürgermeister empfangen wird und die Schlüssel der Stadt bekommt, die er ja schützen soll. Vor ihm kommen Menschen auf zum Jahresthema dekorierten Wagen mit. Sie vertreten oft Jugendverbände aus dem Grossraum.
2021 war das Thema irgendwas mit Tieren.

Die Zuckerbäcker haben auch einen Wagen und verschenken Lebkuchen

Und da kommt er !

Die Fassade des Rathauses dient als Bildschirm, auf dem mehrmals täglich ein kurzes Lichtshow projeziert wird, das die Geschichte des Nikolaus darstellt.

ein Amateurvideo zeigt Ausschnitte. :noel:

Vielen Dank, @ Mislep, für die tollen Bilder und teils außergewöhnlichen Blickwinkel. Mit Deinen anschaulichen Erläuterungen zu den Motiven und ihrem Hintergrund bist Du ja fast schon ein „wandelndes Nancy-Lexikon“. :clap:

Tatsächlich freue ich mich gerade sehr, denn Nancy ist erste Station meiner kleinen Rundreise. - Leider komme ich jetzt im Herbst zu spät und für den Nikolaus zu früh, um die tollen Illuminationen sehen können. - Sehr schade, denn ich habe etwas Ähnliches in Le Puy-en-Velay genießen dürfen 2018. - Eben will ich aber nicht off-topic schwärmen … wenn ich mit der Technik hier etwas besser zurechtkomme, gibt es auch gerne mal Bildberichte aus meiner „Feder“.

Abgesehen vom Place Stanislas ist Nancy für ihre Jugendstil-Werke bekannt. Nancy entwickelte sich nämlich am Ende des 19. Jahrhundert zu einer Metropole der Jugendstilbewegung, neben Paris, Wien oder Bruxelles. In der ganzen Stadt findet man Jugendstilhäuser, gleich im Zentrum aber vor allem hinter dem Bahnhof. Das office de tourisme stellt einen Flyer online zu Verfügung mit Jugendstil-Rundgängen.

Hier ein Paar Beispiele

Bemerkenswert ist die rue Félix Faure mit einer wunderschönen Reihe an Jugendstilhäusern.

Und der Parc de Saurupt. Er wurde als Park geplant, in dem Privatvillen stehen sollten. Der Park wurde nicht gebaut, einige Villen aber schon. Sie stehen meistens hinter hohen Mauern und sind nicht so einfach zu erblicken.

Zum Jugendstil in Nancy sind 2 Museen sehenswert.
Das Musée de l’école de Nancy. Es stellt Werke von lokalen Jugendstilkünstlern aus. Das Museum steht in einem schönen, ruhigen Park.

Und die Villa Majorelle wurde für den Künstler Louis Majorelle gebaut. Man kann sie besuchen, jedoch muss man vorher buchen, weil sie relativ klein ist. Momentan wird das letzte Sockwerk renoviert.

Und noch ein Paar Sehenswürdigkeiten von Nancy.
Unweit vom Bahnhof steht der Tour de la Commanderie. Er ist das älteste noch stehende Gebäude Nancys, aus dem 12ten Jahrhundert. Der Turm gehörte zu einem Gebäudeensemble, das das Hauptquartiert der Johanniter war.

Ein bisschen weiter stadtauswärts steht die Basilika Sacré-Coeur, in der Nähe der villa Majorelle. Sie wurde Anfang des 20ten Jahrhunderts in einem neobyzantinischen Stil gebaut.

Unbedingt zu sehen ist auch die Kirche Notre-Dame-de-Bonsecours. Sie steht ausserhalb des Zentrums, an der Stadtgrenze zur Nachbargemeinde Jarville-la-Malgrange. Die Kirche wurde von Emmanuel Héré mitte des 18ten Jahrhunderts gebaut und dient als Grabeskirche für Stanislas und seine Familie. Der Rokokostil ist für französische Kirche eher unüblich.

Das für Stanislas gebaute Mausoleum

wooow :astonished: mislep…

das macht Appetit auf mehr…
Nancy ist definitiv auf meiner To-Do Liste…

Nicht nur drauf schreiben, [size=150]machen[/size]. Hatte eigentlich Le Havre auf der Liste für September, musste jetzt aber Nancy und Umgebung weichen, Grund für mich war natürlich Misleps Bericht hier im Forum :merci: encore!

gern ! :smiley: