Rien ne nous séparera Thierry Cohen 2022

Dieser 2022 erschienene Roman von Thierry Cohen ist eine beeindruckende melodramatische Thematisierung des Kinderhandels in Verbindung mit Adoption. Im Zentrum der Handlung steht eine verarmte marokkanische Bauernfamilie. Sarah und Jacob vertrauen ihre beiden geliebten Kleinkinder Dina und Salomon einer Wohltätigkeitsorganisation an, die ihnen vorgaukelt, ihre Kinder vorübergehend in einem Kinderheim gut zu betreuen. Den Eltern wird sogar eine finanzielle Hilfe gewährt. Gegen den lange anhaltenden Widerstand Sarahs setzt Jacob die vermeint-lich zeitlich begrenzte Abgabe der Kinder an die Wohltätigkeitsorga-nisation durch. Nach einigen Monaten wird den Eltern der krankheitsbedingte Tod ihrer Kinder mitgeteilt. Nachdem sich für Sarah und Jacob immer mehr Zweifel an dieser Darstellung ergeben, beginnen sie nach mehr als 10 Jahren eine verzweifelte Suche nach der Wahrheit und nach ihren Kindern. Schließlich wird deut-lich, dass ein krimineller französischer Kinderhändler in Verbindung mit korrupten Marokka-nern ein ausgeklügeltes und menschenverachtendes System des Kin-derhandels mit dem Ziel der Bereicherung aller beteiligten Täter entwickelt hat. Salomon und scheinbar auch Dina werden von einer in die USA emigrierten be-güterten marokkanisch-französischen Unternehmerfamilie adoptiert und wachsen, trotz depressiver Phasen, aber geliebt von ihren Adoptiveltern, zu beruflich erfolgreichen Erwachsenen heran. Die biologischen Eltern, die inzwischen nach Israel ausge-wandert sind und noch 3 weitere Kinder bekommen, können schließ-ich mit Hilfe von Journalisten, die sich auf die umfangreichen Recherchen des Vaters stützen, die Zusammenhänge ermitteln und eine für alle Beteiligten erfreu-liche Familienzusammenführung erreichen. Im Schlusskapitel wird klar, dass die vermeintlich wiedergefundene Dina in Wahrheit von einer marokkanischen Familie adoptiert wurde. Der Roman, der eine literarische Verarbeitung von tatsächlichen Ereignissen ist, hat einen hohen Spannungsgehalt und eine besonders intensive emotionale Wirkung auf den Leser. Identitätsfra-gen, Liebe zwischen Kindern und Eltern, Trauer, Hoffnung, Integrationsprobleme und die Frage nach dem Lebensglück sowie viele andere psychologisch relevante Themen werden in diesem Roman immer wieder auf sehr berührende Weise angesprochen und oft differenziert erfasst. Der Roman ist auch ein Kriminalroman, der die Bestrafung einiger hauptverantwortlicher Täter im Rahmen einer von Jacob initiierten Rache nicht ausklammert. Diese Rache ist aber moralisch trotz aller Nachvollziehbarkeit fragwürdig. Kritisch anzumerken wäre auch, dass der Autor sich trotz seiner anerkennenswerten literarischen Leistung phasenweise sehr stark an journalistischem Reportagestil orientiert und manche wichtige Randfiguren des Romans nur knapp charak-terisiert. Eine genauere Analyse der im Roman thematisierten muslimisch-jüdischen Beziehungen und Identitäten wäre wünschenswert. Insgesamt gesehen ist dieser Roman trotz geringfügiger Schwächen ein sehr lesenswerter und bewegender Roman.