Social Distancing: Die entlegensten Orte Frankreichs

Das mit dem Reisen ist in Pandemiezeiten ja so eine Sache. Die Gesellschaft ist noch dabei zu verstehen, dass es vielleicht keine so gute Idee ist, nach Saint-Tropez oder La Baule zu fahren und sich in die Schlange der Promenadenspaziergänger und Partyfreunde einzureihen. Aber gibt es überhaupt Orte, wo das mit den 1,5 Metern Abstand très facile ist, weil der Durchschnittsabstand zum nächsten Bewohner 1,5 Kilometer sind? Ja, gibt es. Denn Frankreich ist ein ziemlich großes Land und la France profonde lädt dazu ein, über die Moderne nachzudenken. Nicht nur über Viren aus Hinterasien, sondern auch über technische Errungenschaften, Stress und Lichtverschmutzung.

Lasst uns doch eine kleine Sammlung der entlegendsten Orte Frankreichs aufstellen, wohin sich nicht einmal der Postbote verirrt und schon gar kein Tourist. Von den virtuellen Besuchern abgesehen, die ab jetzt googlen. :wink:

Vorab eine Liste der kleinsten (bevölkerungsärmsten) Gemeinden des Landes. Die wären:
Rochefourchat, Drôme (1 Einwohner)
Leménil-Mitry, Meurthe-et-Moselle (3)
Majastres, Alpes-de-Haute-Provence (3)
Caubous, Haute-Garonne (4)
Caunette-sur-Lauquet, Aude (4)
Trébons-de-Luchon, Haute-Garonne (4)
Épécamps, Somme (5)
Fontanès-de-Sault,Aude (5)
Ornes, Meuse (5)
Ourdon, Hautes-Pyrénées (5)

Quelle: https://fr.wikipedia.org/wiki/Liste_des_communes_de_France_les_moins_peuplées

Ich starte mit [b]Rochefourchat /b:

Koordinaten: 44° 35′ 58″ Nord, 5° 14′ 53″ Ost

Dass da ein Mensch lebt, stimmt nicht. Seltsam, dass das mit dem Zählen nicht klappt, obwohl es da nicht so viel zu zählen gibt. Der letzte Bewohner zog schon 2011 weg, sagt das Touristenbüro. Natürlich nicht das des Dorfes, sondern das des Tals. Denn wenn sich jemand nach Rochefourchat verirrt, dann Wanderer: Durch das idyllisch gelegene Dörfchen führt neben der D596 auch ein Wanderweg. :sport: Es gibt sogar eine Tafel, direkt vor der Kirche Saint-Pierre. Wenn ich recht darüber nachdenke, erschließt sich mir, wie das mit dem einen Einwohner gemeint ist: Es muss Gott höchstpersönlich sein, schließlich befinden wir uns in der französischen Provinz. Vor diesem Hintergrund ist auch das Objekt von Interesse, das sich vor dem Gotteshäuschen befindet (Stand: 2012, seitdem sind keine Bilder mehr von Rochefourchat überliefert): Eine Telefonzelle. Falls ihr mal zufällig ins Dorf kommt, drückt doch mal auf Wahlwiederholung, mal gucken, ob da vielleicht ein Vater zuletzt seinen Sohn angerufen hat. Das wäre eine Sensation! :smiling_imp:

Wer glaubt, dass Rochefourchat entvölkert ist, täuscht sich: Etwa ein Dutzend Menschen haben dort ihren Zweitwohnsitz. Das erklärt das blaue Auto, das man beim Stalken auf Google-Maps sieht. Als soziales Experiment könnte man da Wahlen sehen. Bei der Präsidentschaftswahl 2017 hatten sich acht Bürger registriert. In der ersten Runde entschieden sich zwei für Marine Le Pen und zwei für Emmanuel Macron. In der zweiten Runde wählten dann sieben von acht: Diesmal stimmten vier für Le Pen und drei für Macron. :neutral_face:

Rochefourchat hat sogar zwei Hängematten, zwei hameaux (ok, das ist nicht der Plural von hamac, aber ich stelle es mir gerne so vor). Eine davon ist l’Aribat. Dort gibt es tatsächlich eine weitere Kirche und zwei Swimmingpoole. Man muss schließlich Prioritäten setzen. :king:

Außerdem hat Rochefourchat das, was viele größere Dörfer nicht haben: Einen eigenen Beitrag auf Europe 1: :arrow_right: hier

„C’est un petit coin de paradis“, sagt demnach eine Assistentin des Gemeindebürgermeisters. Ein kleines Paradies also. Was sollte einen daran hindern, sich diesen Social-Distancing-Paradies anzusehen? Vielleicht ist es der Distancing-Teil in dem Ganzen: Rochefourchat…
… liegt eine Stunde von jeder Autobahn entfernt
… 6km von der nächsten Bäckerei
… 172km vom nächsten Apple Store
Dafür gibt es tatsächlich eine Unterkunft: Die Schule wird ja nicht mehr benötigt (seit 1957 nicht mehr) und wurde als Gîte umgebaut. Für 450€ kann man dort in der Hochsaison unterkommen. Ihr seht, es ist eine Abwägungssache. :wink:

Links:
:arrow_right: Wikipedia-Eintrag (frz)
:arrow_right: Seite des Gîte
:arrow_right: Eindrücke zum Vallée de la Roanne

Fontanès-de-Sault, Aude (5 Einwohner)

Eine interessante Geschichte des täglichen Lebens in einem der kleinsten Dörfer Frankreichs bietet dieses Örtchen im Département Aude. Denn wer denkt, wo jeder jeden kennt herrsche Eintracht und Eierkuchen (Friede, Freude…), der irrt. Ein Kleinkrieg tobt, es geht um Zuzöglinge, Heu und Feuer. Und einen Bürgermeister, der irgendwie nicht der verlängerte Arm des Staates ist, wenn man den Reportern von Midi Libre glaubt.
Die Geschichte ist schon drei Jahre alt, aber wo die Mühlen langsam mahlen, ist es, als wäre es gestern.
:arrow_right: Artikel bei Midi Libre, 21.01.2018

Wer überlegt, seinen Social-Distancing-Sommerurlaub in Fontanès zu verbringen: Der Ort hat nicht nur eine unterirdische Nachbarschaftsstreitigkeit zu bieten, sondern auch wirklich was unter der Erde: Die Grotte von Aguzou hat eine hübsche Homepage aus den Anfangstagen des Internets, Stalagmiten und bestimmt auch Stalaktiten.
:arrow_right: Grotte-Aguzou.fr
Die D29 führt durch ein idyllisches Naturschutzgebiet. Achtung, hupen, wenn man um die Kurve braust, denn die Straße verfügt nur über 1,5 Spuren. Ansonsten: nur ein kleines Bächlein, ein Handvoll hingewürfelte Gehöfte, ein blauer Heuwagen vor einer « École Communale », von der niemand weiß, ob nicht noch ein verlorener Schüler seit 1965 im Schwamm-und-Kreide-Spind eingesperrt ist. Als weiteres Ausflugsziel bietet sich der Glascontainer am Ortsausgang an.

Der nächste Supermarkt: 11,5km entfernt.
Das nächste Restaurant: 10,8km weit weg. Wer zu Fuß geht, kann sicher stellen, bei der Ankunft auch wirklich hungrig zu sein.
Der nächste Handy-Reparatur-Shop: 62km entfernt in Prades. Das dauert in etwa so lange wie Rauchzeichen zum Zielort zu senden (siehe oben).

Also hübsch ist es schon, das kleine Fontanès-de-Sault. Und wenn nicht gerade Nachbarschaftskrieg ist, hat man dort sicher seine sommerliche Corona-Ruhe.