Cornouaille, Bretagne

Mein Bretagne-Urlaub begann lange vor der eigentlichen Reise. Seit dem Frühling googelte ich täglich das Wetter in Concarneau, um meinen skeptischen Mitreisenden sagen zu können: Siehste, da scheint die Sonne und es ist wärmer als hier. Als im Juni eine Hitzewelle über Nordfrankreich rollte und im Juli noch eine, war ich selig, sah mich unter Palmen sitzen und feierte mich als Entdeckerin einer geheimen Südsee im Norden. Muss ja nicht immer die Provence sein, war das Motto dieses Urlaubs und das blieb es auch bis zum Schluss, auch wenn das mit der Hitze dann doch nichts wurde.

Muss ja nicht immer die Provence sein, redete ich mir auch ein, als ich gegen Ende der Woche an der sonnigen Südküste des Zipfels bei strömendem Regen, gleichzeitigem Nebel (ich wusste bis dahin gar nicht, dass das möglich ist) und 80km/h Sturm am Cap de la Chèvre stand und versuchte mit dem Rücken zum Cap stehend ein Foto hinter meinen Rücken zu machen, weil das Peitschen des Regens im Gesicht nicht zu ertragen war. Das Ergebnis zeige ich später. :mrgreen:

Sommer in Concarneau

Nein, IMMER Provence muss es wahrlich nicht sein, aber wenn man an norddeutsche Sommer gewöhnt ist, merkt man erst bei einer regnerischen Woche in der Bretagne, dass dieses Land des Lichts und des Lavendels doch hin und wieder eine Notwendigkeit sein kann, wenn man quengelnde Mitreisende vermeiden möchte und auch, dass sie mit einem „Siehste!“ auf die Bindfäden über dem Meer und die dicken Algenbüschel an den Stränden zeigen.

Nun gut, wenigstens erlebte ich die Cornouaille so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Als maritim geprägte Landschaft, die mit ihren Grün- und Blautönen spielt, Geschichte atmet und demonstriert, was Elemente sind.

Der Anreisetag war der letzte warme Tag des Sommers (Ich lehne mich weit aus dem Fenster…). Wir speisten auf der sonnigen Terrasse mit der Meeresbrise im Haar und dem Blick auf den Hafen von Concarneau. Alles hier ist Meer, man riecht es, sobald man sich der Küste nähert und es riecht jeden Tag anders. Man nennt das les arômes de la mer. Auch hier: die Bretagne ist vielfältig. Mal ist der Atlantik frisch, mal salzig, mal süßlich, mal beißend, den Geruch von faulenden Algen mitbringend. Nein, lieblich wie das Mittelmeer zeigt sich dieser Ozean nicht.

Ebbe im Hafen von Concarneau. Die Sonne glitzert in den Prielen, ein junger Mann ist zu Fuß vor der Ville Close unterwegs und holt Muscheln aus dem Schlick. Ein Seidenreiher stakt durch das niedrige Wasser und irgendwie ist alles gut. Durchatmen, rasten. Es ist Urlaub, die schönste Zeit im Jahr. In der Altstadt herrscht Windstille, aus der Mauer der Festung wächst an einer Stelle Petersilie. Ich frage mich, wie die dort hingekommen sein mag. Durch die Schießöffnungen weht Atlantikluft und ich kann mir an diesem Sonntagmorgen nichts Schöneres vorstellen, als auf dieser Mauer die Ville Close zu umkreisen und Eis zu essen.

Concarneau hat eine Hafengeschichte. Eine Historie, die von Fisch erzählt, von Stürmen und Schiffen und auch vom Krieg. Ist man auf dem Sentier Littoral unterwegs, dem Küstenwanderweg, trifft man auf die Bunker der Nazis, die manchmal wie einer der großen Granitsteine wirken, fast stören sie nicht. Doch der Gedanke an den Atlantikwall ist immer da, an die wohl nie mögliche Heilung der Landschaft. Die Stürme hingegen, die gehören dazu und man wird den Eindruck nicht los, dass die Bretonen sie mögen, verehren, die Erinnerung an sie wie einen schrecklichen Schatz tragen. Während anderswo die Postkarten für die Touristen die schönsten Strände und exotische Blumen zeigen, sind hier auf den Fotokacheln Abbildungen der größten Stürme zu sehen. Leuchttürme, die in der Gischt verschwinden, überspülte Strände, Wasserfontänen, die gegen Granitsteine prallen. Ein Spiel um das Vorrecht des Stärkeren: Mal gewinnt die Küste, mal das Meer. Der letzte tödliche Sturm suchte Concarneau 1930 heim: 207 Seeleute und Fischer kehrten nicht zurück. (1)

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Fußnoten:
(1) escales.wordpress.com/2012/11/2 … e-oubliee/

Links für Interessierte:
:arrow_right: Blogeintrag zur Cornouaille bei Meinfrankreich.com (dt)
:arrow_right: Internetauftritt des Fremdenverkehrsamts Finistère (dt, frz)
:arrow_right: Sendungsausschnitt von France 2: Visites privées, 01/2017: Concarneau (frz)

Freiluftmuseum Locronan

Schon nach dem ersten Tag ist die Stimmung in meinem Reisegrüppchen schlecht. Wir haben den Wetterbericht gesehen. Auch wenn wir uns noch fragen, was der Unterschied zwischen „Pluies éparses“ und „Averses“ ist, wissen wir: Es kann nichts Gutes heißen. Unsere Südsee-im-Norden-Fantasie im Hinterkopf verblasst. Tatsächlich erweist sich der Wetterbericht als ziemlich genau. Schauer bis 11 Uhr, danach Sonne. Mit Regenjacken bewaffnet machen wir uns auf nach Locronan. Ich dachte, meine von Südfrankreich verwöhnten Sonnenanbeter sollen mal ein bretonisches Bilderbuchdorf sehen und exzessiver Tourismus macht ihnen nichts aus. Also Locronan. Nach einem kurzen Stau am Ortseingang werden wir auf einen Großparkplatz gelotst: Vier Euro für ein Jahr parken. Das erschien mir ein guter Preis, aber nach zwei Stunden Grübeln wird mir klar, dass man uns übers Ohr gehauen hat: Wir haben schon August, folglich ist es eine Frechheit, uns die Jahresgebühr für 2019 abzuknöpfen! :open_mouth:

Strahlender Sonnenschein. „In der Tat, ein Skandal! Das mit dem Parken“, wird mir zugestimmt, während wir uns durch die Gassen schieben. Als wir endlich den berühmten kopfsteingepflasterten Hauptplatz erreichen, wird sich unauffällig aus den Regenjacken geschält und dann auch noch aus den dicken Pullovern, obwohl mein Trüppchen noch vor zehn Minuten behauptet hat, dass wir maximal 10°C haben und es sicher gleich wieder regnen werde.

Alles in Locronan ist Fotomotiv. Dass der Ort eine lange Weberei-Geschichte mit ebenso tragischem Ausgang hat, merkt man nicht mehr. Locronan ist eine blumenbewachsene Hülle aus Granit und Kopfsteinpflaster. In jedem Haus gibt es Konsum, Gelddruckhektik. Und doch ist es ein Erlebnis, durch dieses Dorf zu schlendern und dem Zahn der Zeit zuzusehen. Schließlich sind wir selber Teil dessen: Touristen, die auf dem Großparkplatz parken, mit Bauchtasche durch die Heimat von anderen latschen und uns freuen, in stickigen Crêperien unseren Beitrag in Form von vierzig Euro für mittägliche Buchweizenfladen und eine Karaffe Chlorwasser lassen zu dürfen. Man muss ja nicht immer nur die negativen Seiten des Wohlstands sehen und jeder ein Ärgernis für den anderen sein, nicht wahr? :wink:

Drei Häfen für Douarnenez

Wie ein Gegenstück zu dem herausgeputzten, touristisch durchgetakteten Locronan scheint Douarnenez. Die Küstenstadt blickt auf eine der schönsten Buchten der Bretagne, hat den schönsten Strand der Gegend (Plage du Ris) und den schönsten Hafen (Port Rosmer) und doch haben wir die Straßen für uns. Douarnenez hat sich von der Fischereikrise der siebziger und achtziger Jahre nicht ganz erholt und auch der Tourismus bleibt ein wenig außen vor. Wie touristisch eine Stadt ist, sieht man immer an den Immobilienpreisen für Häuser: In einem Schaufenster entdecken wir unser Traumhaus und überlegen im Kollektiv, wie toll es wäre, hier von Hortensienbüschen umgeben auf einer Holzterrasse zu sitzen und auf das Meer zu schauen. Von Südfrankreich ist plötzlich keine Reden mehr. Ich grinse in mich hinein.

Douarnenez hat das Privileg gleich drei Häfen zu haben. Dummerweise beginnen wir unseren Rundgang am Gewerbehafen mit seinen rostenden Lagerhallen.
„Schön hier“, ignoriere ich hinter mir und lege einen Zahn zu, um zum Port Rosmer zu kommen. Dort: Aufatmen. Die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Den bunten Booten auf dem Schlick zusehen. Es ist Ebbe, das Hafenbecken ist beinahe leer. Ein erstes Ausflugsbötchen wagt den Versuch, loszukommen und schafft es tatsächlich, wieder eine Hand voll Wasser unter den Kiel zu bekommen.
Ein Pärchen mit Rastalocken führt Kunststücke vor und man weiß nicht, ob für die abwesenden Touristen oder für sich selber. Sie hören Hip Hop und wir ziehen erst weiter, als aus den Lautsprechern tatsächlich deutscher Rap blarrt. Hier. :neutral_face:

Der Port Rhu ist ein Museumshafen, man kann einige alte Schiffe besichtigen, darunter auch ein Feuerwehrschiff. Eines der Schiffe heißt „Roi Gradlon“ und wir werden daran erinnert, dass sich in der Bretagne belegbare Geschichte und die Sagenwelt vermischen. Beide sind hier real und es war natürlich König Gradlon im 7. Jahrhundert, der Douarnenez gründete. Wir werden ihm noch einige Male begegnen. Eine weitere Figur des keltischen Geschichtsfundus ist Tristan. Vor Douarnenez liegt die Île Tristan, die der Legende nach unfreiwilliger Zufluchtsort für den unter Einfluss des Liebestranks stehenden Tristan wurde: Als er seinem Leben ein Ende setzen und von einer Klippe springen wollte, erfasste ihn eine Windböe und sein Mantel trug ihn zu dieser Insel.

Ganz nüchtern betrachtet begann auf de Île Tristan die Sardinenkarriere der Stadt. Hier stand die erste Konservenfabrik, von denen es zu Beginn des 20. Jahrhunderts so einige gab. Die Arbeiterinnen verdienten einen Hungerlohn und vertrieben sich die Zeit mit kollektivem Gesang. 1924 kam es zu einem Streik, der ganz Frankreich bewegte. Die Frauen gingen mit Mann und Kindern auf die Straße. Die Fabrikbesitzer bezeichneten den Streik als kommunistisch motiviert und verweigerten eine bessere Bezahlung. Zu der Zeit hatte Douarnenez als erste Gemeinde Frankreichs einen kommunistischen Bürgermeister. Doch die Arbeiterinnen gaben nicht nach, sodass die Fabrikbesitzer zu einem skandalösen Mittel griffen, um ihren Streik zu beenden: Sie heuerten einen Auftragskiller an, der den Bürgermeister umbringen sollte. Doch er überlebte das Attentat und dem Streik war nun die ganze Aufmerksamkeit und Sympathie Frankreichs sicher. Am 6. Januar 1925 war es dann so weit: Der Stundenlohn der Arbeiterinnen wurde auf 1 Franc erhöht (4 Euro, also ein Jahr Parken in Locronan).

Heute gibt es noch drei Konservieren in Douarnenez. Viele Häuser der Innenstadt sind unbewohnt und verfallen, während andere Gassen aufleben und aufblühen. Man weiß nicht, ob die Stadt auf einem guten Weg ist, man fühlt sich ein wenig in einer Zwischenwelt und weiß nicht, wohin die Reise geht.

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Links für Interessierte:
:arrow_right: Internetauftritt des Museumshafens (dt)
:arrow_right: Office de Tourisme, Locronan (frz)
:arrow_right: Die Geschichte der Sardinenfischerei in Douarnenez, Artikel in Le Monde, 2006 (frz)

Fortsetzung folgt… :sport:

:merci: Avonlea, mir als Fetischisten, fällt natürlich auf das Du die Bretagne dann doch durch etwas andere Augen siehst, aber ich freue mich schon auf die Fortsetzung :exclamation:

Waaaaaaaas? Behauptest du, ich sei voreingenommen? :open_mouth:
Ich hab das Reiseziel höchst persönlich ausgesucht und stehe dazu. Nur will jetzt niemand mehr mit mir verreisen, weil ich ihren Sommer ruiniert habe…

Pointe du Raz

Unsere Reise führt uns am nächsten Tag weiter zur Pointe du Raz, dem legendären Ende der Welt der Bretonen. Wieder müssen wir hoffen, dass es aufklart und das Kap nicht in tiefhängenden Wolken und einem Regenvorhang verschwindet. Und wieder erweist sich die Wettervorhersage als zuverlässig: Als wir an der Baie des Trépassés stehen, strahlt die Sonne vom Himmel und es ist beinahe windstill. Trépassés, die Dahingeschiedenen. Es gibt verschiedene Thesen, warum diese Bucht so heißt und die Essenz daraus ist: Man weiß es nicht. Es wird gesurft und sich auf dem Kiesstrand gesonnt. Der leichte Wind kommt einem hier erfrischend vor und die karge Landschaft drumherum erinnert daran, dass der Wind hier eigentlich kein freundlicher Begleiter ist, sondern ein Gestalter. Hier siegen die Elemente, nicht das Land.

Und dann die Pointe du Raz. Offenes, weites Meer. Jeder kennt sie von Fotos, wie den Eiffelturm, und steht man dann schließlich selber davor, ist es trotzdem gigantisch. Am Horizont erahnt man die Erdkrümmung und kurz davor: Die Île de Sein. Es fällt ein bisschen schwer, sich das Ende der Welt vorzustellen, wenn man dabei auf diese sonnige, windumtoste Insel blickt mit ihrem Leuchtturm und der großen Résistance-Geschichte. (1)
Es sind nicht viele Menschen da, was sich als Glück erweist. Keine Busse mit asiatischen Touristen, keine Zweierreihen auf den Wanderwegen. Wir haben den perfekten Tag ausgesucht. Man möchte stundenlang auf den Felsen herumklettern und in die Brandung schauen, sich an den Steinen wärmen und mit geschlossenen Augen dem Meer lauschen. Hier ist alles ganz flach gewachsen, es gibt nur Büsche, Ginster, Heide, trockenes Gras. Selbst die Eidechsen sind klein und platt, die Marienkäfer winzig. Für mich steht fest: Das hier ist mein Lieblingsort in der Bretagne. Das Ende der Welt gefällt mir gut.

Auf dem Rückweg zeigt sich der Sommer von seiner schönsten Seite. Die Sonne heizt uns ein und die 22°C fühlen sich an wie 26°C. Das Licht ist atlantisch hell, blendet richtig und lässt das Weiß der Häuser strahlen. Wir stoppen in Audierne, das einen hübschen Hafen hat und im Wesentlichen auch auf diesen Hafen beschränkt ist. Eine Kleinstadt, in der mittags alles geschlossen ist und man seine Siesta dem Bad im Meer widmen kann oder dem Spaziergang in der weiten Hafenmündung zwischen Sandbänken und hellblauen Wasserflecken. In der Badefiliale von Audierne, Esquibien, stoppen wir an einem mexikanischen Foodtruck, der einzige, der uns in der Gegend zu dieser Siesastunde noch etwas zu essen kredenzen kann, und lassen uns die Sonne auf den Pelz scheinen. Der bretonische Sommer kann so herrlich sein. Der Sand an diesem Strand ist ganz hell und weich. Der Blick reicht weit über das Cap Sizun hinaus. Wir sehen, dass über Concarneau dicke Wolken hängen und möchten am liebsten ewig hierbleiben, mit Sand an den Füßen und von mexikanischen Wraps bekleckerten T-Shirts. Egal. Es ist Sommerurlaub. Ausnahmezustand.

Pont-Aven

Wieder das abendliche Ritual: Der Wetterbericht. Klugerweise steht die Moderatorin immer genau vor dem Zipfel der Bretagne, auf dem wir uns befinden. Man kann ihr Absicht unterstellen, denn dahinter finden sich immer die niedrigsten Temperaturen in ganz Frankreich. Brest: 20 °C. Für Donnerstag und Freitag ist ein Sturm angekündigt, ein recht untypischer für diese Saison. Bereits am 30. Juli hat ein Sturmtief die französische Atlantikküste heimgesucht und ein großes Islandtief schickt nun einen weiteren Ableger: 45km/h Wind mit 80km/h Sturmböen. Wir denken darüber nach, eine dieser gelben Ölzeug-Jacken zu kaufen, die in der Ville Close gerade im Angebot sind.

Noch bleibt der sonnige Mittwoch: Pont-Aven. Noch ein überlaufener Ausflugsort, der seinen Charme verzweifelt am Aven festklammert. Es spaziert sich gut zwischen den ganzen Blumen und Felsen, der Fluss hat etwas Verwunschenes. Und Lachse, wird behauptet. Das Angeln ist verboten. Gut so. Oder ein kluger Schachzug, damit das Restaurant in der alten Wassermühle den Fisch exklusiv anbieten kann, wir wissen es nicht.
Pont-Aven gelangte durch Paul Gauguin zu Ruhm, der sich hier inspirieren ließ und zahlreiche Werke schuf. Man arbeitet zur Zeit daran, dass auch das örtliche Museum wieder ein Original bekommt…

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Fußnoten
(2): ajpn.org/commune-ile-de-Sein-29083.html

Links für Interessierte
:arrow_right: Kurze Sendung über die Pointe du Raz in den 1960er Jahren (frz)
:arrow_right: Wikipedia-Artikel zur Schule von Pont-Aven (dt)

b Baden in Bénodet[/b]

Ich habe noch gar nicht erzählt, dass ich trotzig und todesmutig im Vorfeld Badekleidung in meinen Koffer gequetscht hatte. Nach den ersten Tagen hier traute ich mich nicht mehr, das meinen Mitreisenden zu erzählen. Doch es kam zu einem unfreiwilligen Badeausflug und der hatte nichts mit dem immer wieder aufziehenden Regen zu tun.

Am Nachmittag spazierten wir am Strand Le Letty bei Bénodet herum. Es war Ebbe und das Meer hatte sich weit zurückgezogen, ließ die Boote aufs Trockene fallen. Der Strand ist durch seine Lage an einem Fluss eine Lagune, in die eine Halbinsel hineinragt, die eine einzige Sanddüne ist und noch einen weiteren Strand schafft. Bei Ebbe also spaziert man über das trockene Flussbett und durch kleine Tümpel, in denen wir die Hinterlassenschaften wohl diverser Tankerunglücke der letzten Jahrzehnte fanden. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es hier noch so viel Öl gibt.

Dahinter, auf der Düne: Das weite Meer. Klares Wasser, Sonnenschein, der sich einen Weg durch die dicken Wolken bahnt. Es wird warm, aber nur vereinzelt verbringen Familien den Tag am Strand. So gefällt mir das Strandleben in diesem Teil der Bretagne: Es gibt keines.
Ich spaziere bis zu einer freigelegten Sandbank und entdecke, dass die Flut kommt. Über den Daum berechne ich, dass noch ein paar Minuten bleiben, um den kurzen Weg durch das Flussbett zu nehmen, um auf die andere Seite zurück zum Auto zu kommen. Was soll ich sagen? Es geht schief, weil ich meine eigene Körpergröße nicht einberechnet habe. Ruckzuck ist das Wasser bei den Knien und dann bis zur Hälfte der Oberschenkel. Die Jeans ist nass. Ich rutsche auf einem veralgten Stein aus und tauche auch noch meine Schuhe ins Wasser. Wenigstens bleibt die Kamera trocken. Es ist herrlich erfrischend und hätte ich daran gedacht, meine Badeklamotten anzuziehen, wäre es zu meinem ersten bretonischen Atlantikbad gekommen. :smiley:

Regenbaden in Crozon

Donnerstag. Der Tag, für den diese ominösen „Pluies éparses“ angesagt sind und für Nachmittag die Ankunft des Sturms. Wir verstehen rasch, was „Pluies éparses“ sind: Regen, unterbrochen von regenfreien Phasen. Mal gießt es, mal schüttet es, mal nieselt es, als wir zur Halbinsel Crozon aufbrechen, der großen Tagestour. Es hätte kein übleren Tag dafür geben können. Die Stimmung ist schlecht, ich sehe über den Köpfen meiner Mitreisenden comichafte Denkblasen aufploppen: 30°C. Südfrankreich. Palmen. Eiskreme. Ansonsten: Totenstille. Ich fühle mich, als hätte ich sie alle in die Hölle geführt, in die Bretagne.

In Morgat sind wir durchnass, noch bevor wir es schaffen, unsere Regenjacken anzuziehen. Die Straßen sind entweder ausgestorben oder überflutet. Wir entscheiden uns für eine überflutete Straße, denn eventuell führt sie zu einer der Grotten, die man besichtigen kann. Wir sehen uns als Urzeitmenschen, die sich bei schlechtem Wetter in Felshöhlen zurückziehen und über einem Lagerfeuer Mammutsteaks braten wollen. Doch man sagt uns, dass die Höhlen nur mit dem Boot erreichbar seien. Das stimmt nicht, denn als es später aufklart, sehen wir die Grotten, die man zu Fuß erreichen kann, auf der anderen Seite der Bucht.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, denken wir und wagen eine Fahrt zum Cap de la Chèvre um die Ecke. Wir haben schon viel von dem berühmten bretonischen Mikroklima gehört und glauben tatsächlich, dass es dort um die Ecke vielleicht nicht regnen könnte. Und es stimmt. Zumindest bis zur Hälfte der Fahrt, die über eine Stichstraße zwischen lila Heidelandschaft führt. Dann zieht Nebel auf und es beginnt wieder zu regnen. Der Sturm pfeift. So muss sich eine Marsmission anfühlen. Ein kleines Dorf duckt sich unter dem Wind und dem Regen und ich stelle mir vor, wie schön es hier bei Sonnenschein sein muss.

Den Großparkplatz haben wir fast für uns alleine. Nur ein paar Lebensmüde oder Sektenanhänger sind auch dort. Sie tragen die größten und weitesten Regenponchos, die ich je gesehen habe. Zelte zum Anziehen, mit Taschen und Ausbuchtungen, vielleicht um darin gegen das Wegfliegen Gewichte zu versenken. Mittlerweile ist dichter Nebel aufgezogen und gleichzeitig stürmt und regnet es in Strömen. Der Wanderweg ist eine einzige Pfütze. Als ich einmal meinen Fuß nur mit einem lauten Schmatzgeräusch aus dem Schlick befreien kann, kommen mir Bilder von Moorleichen in den Sinn. :astonished: So will ich nicht enden! Kampfgeist steigt in mir auf, ich schultere meinen zugeklappten Stockschirm (fragt nicht, warum ich dachte, ich könnte ihn gebrauchen! Norddeutscher Impuls. Nie ohne Regenschirm spazieren gehen) und kämpfe gegen das Pfeifen des Sturms an. Tatsächlich erreiche ich das Kap. Glaube ich zumindest, denn sehen konnte man es nicht. Regen peitscht mir seine Nadeln ins Gesicht und meine einzige Besichtigungsausbeute ist ein Foto meines Regenschirms mit ein bisschen Kap und Meer im Hintergrund, das ich hinter meinem Rücken geschossen habe (siehe unten).
Die Halbinsel Crozon ist ein seltsamer Ort. Das wird uns klar, als wir in einem Weiler nahe Morgat auf einen Mann treffen, der in einen Regenponcho gekleidet ist, einen Regenschirm hinter seinem Nacken balanciert und an den Füßen barfuß ist. :vamp:

Menez Hom bei aufziehendem Sturm

Als wir Crozon verlassen, scheint wieder die Sonne, für einen kurzen Moment, bevor der angekündigte Sturm Fahrt aufnimmt. Wir nutzen das Regenloch für eine Fahrt auf den Menez Hom, die höchste Erhebung der Gegend. Natürlich ein mythischer Berg, flüchtete doch König Gradlon nach dem Untergang des bretonischen Atlantis Ys hierher und löschte die Feuer der Druiden eigenhändig. Man hat einen weiten Blick in die Landschaft und sogar auf das Meer. Ein Ort wie so viele in der Bretagne, die die Vorstellungskraft anregen und einem begreifbar machen, wie Sagen und Legenden entstehen.

Dann der Sturm am Abend. Die Flut steht hoch im Hafen von Concarneau und das Meer braust wütend gegen die Felsen am Sentier Littoral. Da wussten wir noch nicht, dass wir diese Nacht wenig Schlaf bekommen sollten. Denn der eigentliche Sturm kam um 4:40 Uhr, pfiff gespenstisch über die Stromleitungen und über die Schindeln auf dem Dach. Trug Regenwogen an die Fenster, so als würde man auf einem Schiff fahren. Am nächsten Morgen waren sie mit Salzwasser verschmiert. Auch wenn ich mir einen Sommerurlaub anders hätte vorstellen können, es war ein Erlebnis, das Wetter in seiner ganzen Vielfalt und Kraft zu sehen. Natürlich war das nur ein kleiner Sturm, ein bisschen starker Wind, weniger als ein norddeutscher Herbststurm. Trotzdem bekommt man einen Einblick in das Leben mit den Elementen, denen die Bretagne das ganze Jahr über ausgesetzt ist.

Ein schöner Landstrich, der viele Geschichten erzählt. Ich werde gerne wiederkommen! Vielleicht nicht gerade im Hochsommer.

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Link für Interessierte
:arrow_right: Internetauftritt des Tourismusverbands, Infos zur Halbinsel Crozon (dt)

ENDE

Nein, nein, das war eher positiv gemeint, wenn man eine Gegend schon öfter bereist hat, wird man ja für das Ein oder Andere ja manchmal etwas blind und schenkt dem nicht mehr soviel Beachtung wie es vielleicht sein sollte.
Und in der Bretagne ist es doch immer schön, entweder scheint schön die Sonne oder es ist schön am Regnen… :smiley:

Kaum zu glauben, dass wir zur gleichen zeit in Frankreich waren. Ich glaube im Süden hätte jeder alles für einen Tag Regen getan um endlich die Waldbrandgefahr zu stoppen…

Ich habe auch sehr gute Erinnerungen an die Region Cornoualle.