Die Halbinsel Guérande

Die Halbinsel von Guérande liegt zwischen der Mündung der Villaine und jener der Loire und ist quasi zwei in eins: Das weiße und das schwarze Land. Salzmarsch und Torfmoor. Ein stetiges Spiel der Meeresströmungen, Ebbe und Flut. Und vor allem ein mediterranes Paradies, das man dort nicht erwartet hätte.

Palmen, Schirmpinien, Zypressen. Sie gehören zu meinen Lieblingspflanzen und das liegt natürlich daran, dass die Heimat meines Herzens der warme Süden ist. Umso natürlicher erschien es mir, für eine erste Reise in die Bretagne einen Ort auszusuchen, der sowas wie der Ableger des Mittelmeers ist, die bretonische Interpretation von diesem. Ich wurde nicht enttäuscht. Vive le microclimat!

La Baule ist ein Seebad der Superlative. Es ist Herr über eine neun Kilometer lange, feinsandige Bucht mit strahlend blauem Wasser und sanften Wellen. Eine Mini-Côte d’Azur und an der Promande geht es genauso verkehrslastig zu wie auf der Croisette, die hässlichen Appartmenthäuser, man kann sie auch Touristenregale nennen, verschandeln dem Flaneur den Landblick. Aber so eine Bucht will halt möglichst oft geteilt werden und macht man nur einen Schritt hinter das Betonding, das den Meerblick bewacht, wähnt man sich in einem Villenort, licht bedeckt von alten Pinien. Wunderschön. Schade, dass die Pariser in nur drei Stunden im TGV hier sind.

Guérande ist jene Stadt, die der Halbinsel ihren Namen gab und man versteht schnell, warum. Auf einer Anhöhe gelegen, von einer trutzigen Stadtmauer umgeben, schaut das Städtchen auf die Salzmarsch zu ihren Füßen, die sie reich gemacht hat. In seiner Blütezeit durfte Guérande sein Salz steuer- und zollfrei verkaufen. Man hätte daher mittelalterlichen Prunk und Protz erwarten können, aber das ist nicht der Fall. Niedrige Häuser aus sandfarbenem Stein drängen sich in der kleinen Altstadt aneinander und die Sonne scheint so schön als befinde man sich in Aigues Mortes. Es muss also so etwas wie ein Muster für alle Orte in der Nähe von Salinen geben. Pro forma muss man sagen, dass sich diese Gegend bereits in der Region Pays de la Loire befindet, seit der Gebietsreform in den 1960ern also nicht mehr in der Bretagne. Aber die Leute hier sind Bretonen, daran lassen sie keinen Zweifel. Häuser sind schwarzweiß beflaggt, das Emblem des Pays de la Loire über der 44 auf den Nummernschildern mit ebensolcher überklebt.
Eine hübsche Kirche dominiert das Ortsbild, aus den Ritzen zwischen Häusern und Straße wachsen Stockrosen. An dem Donnerstagmorgen meines Besuchs war Guérande sehr belebt - zumindest bis 12:30. Danach: Siesta bretonica. Gut, dass wir vorher noch Karamellbonschen mit Salzbutter für 7,80€ /200g gekauft haben und auch ein kleines Säckchen mit grauem Salz. Dann ist das Thema Souvenirshopping gleich am Urlaubsbeginn abgehakt.

Wer dem Geheimnis des Salzes auf den Grund gehen will, muss sich zwischen zahlreichen Museen und Führungen entscheiden. Ich wählte das Musée des Marais Salants in Batz-sur-Mer. Für 5 € bekommt man ganz modern multimedial vorgeführt, wie alles funktioniert und früher funktioniert hat, wie Künstler die Marsch sahen und wie die Menschen vom Salz lebten. Nach dem Besuch nimmt mein simples Bild von der Kulturgeschichte der Menschheit immer mehr Gestalt an. Nicht nur das Feuer hat den Homo Sapiens Sapiens sozialisiert, es war auch das Salz. Durch das Haltbarmachen von Speisen und natürlich auch durch Salz als Geschmacksträger konnte die Sesshaftwerdung überhaupt funktionieren. Klar, dass das Salz auch Eingang in Glauben und Aberglauben fand. Angst vor Vampiren und Untoten? Ein Salzkreis um einen herum genügt. Ist eure Nachbarin vielleicht eine Hexe? Ein Blick in ihren Gewürzschrank verschafft Klarheit, denn Hexen besitzen kein Salz. Ich freue mich besonders, in dem Schaukasten zum Salz aus aller Welt ein kleines Säckchen aus meiner Heimatstadt Lüneburg zu finden, auch große Salzmetropole des Mittelalters.

Wer sich die Ausmaße des Ganzen mal von oben ansehen möchte - und das sollte man tun, es ist ein gigantisches System aus unzähligen Becken und Kanälen, besteigt für 2,50 € den Kirchturm in Batz-sur-Mer. Knapp 200 enge Stufen hangelt man sich an einem klebrigen Seil nach oben und hält dann wenige Zentimeter vom Abgrund entfernt die Nase in den Wind. Blick auf die Salzmarsch: Ganz gut. Blick auf die Côte Sauvage: sehr gut. Blick hinunter auf Batz und seine Häuser: schwindelerregend.

Das Highlight der Landzunge, die die Salzgärten abschließt, ist Le Croisic am westlichen Ende. Hier kann man vor allem drei Dinge tun: 1. In Océarium gehen, eines der schönsten Aquarien Frankreichs, 2. Fantastische Crêpes am pittoresken Hafen essen 3. Die Sonne im Meer versinken sehen.
Ich habe alles drei getestet und alles war :top: Nur mit den Pinguinen durfte man leider nicht kuscheln. Dafür habe ich Seesterne gekitzelt. Durch das Glas zumindest.
Le Croisic ist mehr als nur ein Fischerort, denn auch dieses Städtchen hat eine wohlhabende Vergangenheit. Von hier wurde das Salz in ganz Europa verschifft, bis hoch nach Schweden und ins damals deutsche Königsberg. Der Ballast der Schiffe wurde an den beiden Enden des Hafens aufgeschüttet. Aus jenen Bergen hat man heute kleine Parks gemacht, die auch einen schönen Rundumblick auf den Ort und seine Umgebung erlauben.

Welch einen Kontrast da das schwarze Land bildet: Direkt hinter La Baule beginnt ein Landstrich, der durchzogen ist von dunklen Kanälen, Schilf und Moor. La Grande Brière. Das Dorf Kerhinet ist heute ein Museum und bildet eine gute Einführung in das Leben der Menschen damals, mit dem Torf und den Booten. Wer hier heute lebt, arbeitet meist in St. Nazaire, dessen Hafen man von hier in dem topfebenen Land bereits sehen kann, und schippert am Wochenende Touristen durch die Kanäle. Eine Miniausgabe des Spreewaldes. Wir wollten es nicht glauben, aber auch für die französische Mini-Version gilt: Man sieht nur vom Wasser aus etwas. Wer der Meinung ist, vom Land aus über Brücken schlendern und Steine flitschen lassen zu können: Fehlanzeige. Die Grande Brière verschließt sich den Landratten. Also: Entweder Boot fahren oder seinlassen.

Der malerischste Ort der Halbinsel von Guérande ist Piriac-sur-Mer an der Nordwestküste. Hier verbrachte Emile Zola gerne seinen Sommerurlaub und der Ort lässt einen noch heute glauben, in einer anderen Zeit zu sein. In jedem Millimeter Erde - nein, sagen wir ruhig wie es ist: Dreck - zwischen den hellbraunen Häusern und dem Pflaster wächst und gedeiht irgendetwas. Hortensien explodieren blühend. Stockrosen wetteifern miteinander um einen Platz an der Sonne. Sogar Lavendel hat sich breitgemacht. Ich frage mich, wie das möglich ist. Hat es jemand dorthin gepflanzt oder hat sich die prächtige Natur nur einfach ihren Weg selber gesucht? Es sieht großartig aus.
Wir haben Piriac an unserem letzten Morgen in der Bretagne für uns. Einige Urlauber schlendern behäbig durch die Sträßchen, am kleinen Strand rösten in der Sonne einige Algen vor sich hin und der ein oder andere Einheimische hockt auf einer der niedrigen Mauern und unterhält sich mit seinem Nachbarn. Das Maison du Patrimoine, in dem wir hofften, etwas über die Geschichte Piriacs zu erfahren: Einige Stunden geschlossen. Richtig geraten: Siesta bretonica.

Die Halbinsel Guérande ist genau das Richtige für den Bretagne-Einsteiger. Mediterrane Landschaft, nur nicht ganz so brütend heiß wie die Camargue. Kleine, hübsche Dörfer, die Möglichkeit am Hafen zu schlendern und an den feinen Stränden zu baden. Auch eine perfekte Wanderroute wird geboten: Der Zöllnerpfad an der Côte Sauvage entlang mit fantastischen Aussichten hinter jeder Kurve, dem Geruch von blühendem Ginster in der Nase und dem Geschmack von Salz auf den Lippen. Salz, das früher oder später in der Marsch landet und dann auf den Tellern. Ein feines Fleckchen Land.

:merci: Avonlea für Deinen Bericht, da geht einem direkt das Herz auf. Wobei in LaBaule echt der Meerblick das beste ist, bloß nicht umdrehen… Le Croisic und Piriac haben uns seinerzeit aber auch verzaubert. Hach viel zu lange ist das schon wieder her.

Hoffe das war nur Teil 2 Deines Reiseberichts, Teil 1 war ja Rochefort-en-Terre.

Danke , Avonlea , für die dokumentierte Reportage über Guérande und Umgebung.
Möchte nur , als Liebhaber der bretonischen Sprache über den Namen „Guérande“ eine kleine Erklärung geben.
Auf Bretonisch heißt du Stadt :„Gwennrann“:
gwenn = weiß und rann = Bezirk ; also :„Gwennrann= der weiße Bezirk“ , wegen der weißen Farbe der Salzwiesen.
War dort vor -zig Jahren auf Urlaub und erinnere mich auch sehr gern an „La Brière“.

:top: .
Alphonse de Châteaubriant hat einen Romen geschrieben mit Titel :„La Brière“.
Geschichte eines Schriftstellers mit politisch bestreitbarem Werdegang :

Ich mag La Baule irgendwie. Wenn man Quartier bezieht Richtung Pouliguen ist es wie am Mittelmeer mit den Pinien. Das Wohnviertel ist fast eine Sehenswürdigkeit und schön ruhig.

Ich war auch noch am Golfe du Morbihan und auf Noirmoutier. Da der Winter noch lang wird (gestern war Siebenschläfer :pascontent: ), spare ich mir die für später auf.