Ich habe eines ihrer Bücher zum Geburtstag bekommen und jetzt ausgelesen.
Das Lavendelzimmer von Nina George
Knaur 2013, 382 Seiten
Jean Perdu ist Buchhändler aus Leidenschaft - und aus Enttäuschung. Vor 20 Jahren, als er 30 war, verließ in seine Geliebte Manon wortlos und hinerließ einen Brief, den er all die Jahre ungeöffnet in einer Tischschublade eingesperrt hatte. Und diesen Tisch widerum in einem Zimmer, das er verriegelte. Bis Catherine auftaucht, eine neue Nachbarin, die gerade von ihrem Mann verlassen wurde und die nun Möbel braucht. Sie bekommt - dreimal dürft ihr raten - Jeans Tisch samt Brief. Er liest ihn also schließlich und muss statt Enttäuschung und Zurückweisung nun Trauer verarbeiten: Manon hat ihn verlassen, weil sie sterbenskrank war und sie bat ihn zu ihr in die Provence zu kommen, bevor sie stirbt. Jean Perdu löst also den Anker seines Bücherschiffes, das er als Pharmacie Littéraire aufgebaut hat und Bücher als Heilmittel verkauft, und macht sich auf in den Süden. Begleitet wird er zunächst unfreiwillig von dem jungen Schriftsteller Max Jordan, der wie viele andere, auf die er unterwegs trifft, zu einem Freund wird. Es geht also um die Verarbeitung von Trauer und Liebe und eine Rückgewinnung von Lebensfreude. Das klingt gut, ist es aber nicht immer.
Da haben wir mit Jean Perdu einen seltsamen Protagonisten, der denkt wie eine Frau, wenn er über Gefühle und die Tragik der Liebe nachdenkt. Ein Mensch, der der Welt durch (scheinbar) enttäuschte Liebe entsagt hat seit zwanzig Jahren, emotional verknöchert ist und alles an sich und um sich herum spartanisch hält - bis auf seinen Körper und seinen ungewollten Charme. Natürlich. Das passt nicht zusammen. Man kann nicht umhin, sich diesen Jean Perdu als hageren, älteren Herren mit langen Haaren und Bart vozustellen, denn das wäre er wohl eigentlich besser. Und dann ist da Manon, seine verstorbene Geliebte. Die nackt auf einem weißen Pferd durch die Camargue reitet und in ihrem Tagebuch für so manchen Fremdschäm-Kitsch sorgt. Und die - natürlich - tragisch stirbt. So ist ausgerechnet die Jean-Manon-Geschichte der Schwachpunkt des Romans, sowohl durch die Charaktere als auch durch die Story. Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob alles realisitisch ist. Es geht um die Glaubwürdigkeit in der Fiktion und da hakt es manchmal sehr.
Es gibt viel Krebs in diesem Buch und es soll wohl dazu im Kontrast aber auch Hoffnung und Licht geben. Mir war es zu viel. Ich mag das einfach nicht gerne lesen.
Glänzen kann der Roman aber durch die vermeintlich kleinen Dinge. Genaue Beobachtungen. Hinreißende Nebendarsteller wie Samantha, die sie unterwegs aus dem Fluss ziehen, in den sie gesprungen ist, um zu wissen, wie es sich anfühlt, und der sich selber suchende, riesige Kopfhörer tragende Max Jordan. Und vor allem durch die perfekt gelungene Darstellung der Landschaften Frankreichs. Man kann es sehen, schmecken und fühlen und das in manchmal wenigen Worten, die entlang der faszinierenden sommerlichen Reise des Bücherschiffes auf den Flüssen und Kanälen fallen. Diese Leichtigkeitsseite der Heilung ist wirklich gelungen. So ist es vor allem das Frankreich, das Nina George darstellt, an das ich mich gerne erinnere, wenn ich an dieses Buch denken werde. Und die vielen kleinen Sätze und Beobachtungen, die einem selbst bisher entgangen waren oder die jenseits der Welt der Worte liegen. Und ich muss aus meiner Bibliothek endlich die Pharmacie Littéraire machen, die sie für mich schon lange war, bevor ich es erfahren habe. Durch dieses Buch.