Natasha Farrant (Großbritannien) - Ein letzter Sommer in La Rochelle
Goldmann 2009, 378 Seiten
Ich gebe es zu: Von diesem Buch erwartete ich nichts Gutes und trotzdem fischte ich es aus der Grabbelkiste einer Buchhandlung, weil es a) um Frankreich ging und b) ich Lust auf einen kitschigen Roman im dunklen November hatte. Mein Pendant zu einem schwachen Fernsehabend mit Rosamunde Pilcher oder dem Traumschiff. Was ich bekam war ein erstaunlich gut gemachter und facettenreicher Unterhaltungsroman, den ich gerne erneut lesen möchte.
Es geht um die Halbbritin/Halbfranzösin Florence, die in London ihr erstes Kind zur Welt bringt. Doch sie bleibt alleine im Krankenhaus und danach auch alleine in ihrer Wohnung. Nach und nach baut sich ihre Geschichte zusammen und springt in die Vergangenheit und dann zurück in die Gegenwart oder die nahe Vergangenheit. Es geht um die Sommer ihrer Jugend, die sie bei den Großeltern auf dem Anwesen La Pommeraie bei La Rochelle am verbringt und die glückliche Sommer waren. Sie verliebt sich ihren Cousin Matt, der aber ein Geheimnis hat, dem man erst viel später auf die Spur kommt, Florence aber aus der Spur wirft, was eine Tragödie nach sich zieht, in die die ganze Familie involviert ist und erklärt, weshalb Florence als junge Frau auf sich alleingestellt ist - oder es selber so will.
In den ersten Wochen nach der Geburt ihrer Tochter liest sie die Briefe ihrer Großmutter. Diese stellen eine dritte Zeitebene dar: Es geht um die deutsche Besatzungszeit und auch dort um eine unerwartete Liebe und eine schreckliche Parallele zu Florences Geschichte. Natürlich gibt es am Ende Versöhnung und ein zartes Happy End, aber so anders als man sich das vorgestellt hat.
Das Buch nimmt viele Wendungen und hat immer eine Überraschung parat. Die Personen sind stark gezeichnet, obwohl es so viele sind und man sich erst einen Überblick verschaffen muss. Ich bin immer skeptisch, wenn ein Buch auf der ersten Seite einen Stammbaum braucht, das verspricht meistens Chaos. Hier lohnt es sich aber, darauf einzugehen. Die Landschaft und der Sommer spielen auch hier eine tragende Rolle und es macht Lust, die Île de Ré zu entdecken. Ich sehe großzügig über ein paar zu gewollte Skandale und Stereotypen hinweg, und manchmal entgleitet der Autorin die sonst treffende Sprache. Alles in allem ist es aber ein unterhaltsames, vielfältiges Buch, das sehr viel mehr gehalten hat als es eigentlich versprach.