I pleut com vaque ki piche mais j’vas m’airier quitte à m’fair arouser…
Mir fällt wieder einmal auf, wie wenig Straßennamen bedeuten. Es hat keine Bedeutung, sie etwa Avenue du Général de Gaulle zu nennen, weil es davon mindestens 500 in Frankreich gibt. So auch in Lille, das zu meiner Überaschung aber immerhin eine Willy-Brandt-Straße hat. Zeitungen und Fernsehprogramme sind voll mit Wahlkampfthemen, zwei Wochen vor der Wahl kann man sich dem nicht entziehen.
Wir diskutieren über Straßennamen und ob es wohl jemals eine Avenue Nicolas Sarkozy geben wird. „Glaube ich nicht. So eine kleine Straße gibt es gar nicht“, höre ich.
Wo andere Hotels im Süden ein Frühstücks-Büffet haben, gibt es im Norden ein Frühstücks-Bouffet. Es gibt sogar Vollkornbrötchen, verschiedene Ei-Zubereitungen, Speck, Wurst und einen eigenartigen Käse, der unter einer speziellen, luft- und blickdichten Glocke verpackt ist und an den sich keiner herantraut. Nicht mal die Schotten, die uns im Rücken sitzen. Ganz besonders an diesem Büffet freut mich aber, dass es drei Sorten Kuchen gibt . Allerdings mit der Folge, dass ich ganz unfranzösisch Putenbrust auf Baguette wähle, um keinen Zuckerflash zu bekommen. Ich spüre die abschätzigen Blicke der Anderen, aber der Kuchen als Nachtisch am frühen Morgen ist es mir wert.
Heute ist der erste von zwei Marathonbesichtigungstagen und es plattert. Ich bedaure, nicht meinen stilechten Ostfriesennerz mitgenommen zu haben, denn immerhin fahren wir heute raus aufs Land. Wo die Leute Katzen zum Grillen schießen, ihre Häuser mit Bierdosen mauern und seltsam reden, wie es heißt.
Das erste Ziel ist Cassel, der höchste Punkt Franko-Flanderns mit 176m. Ich hoffe, dass wir diese Höhe auch ohne Sauerstoffgerät meistern werden. Während wir über die kostenfreie Autobahn durch das flache Land fahren, lässt sich der Blick gut schweifen, von einem Mini-Wäldchen bis zum nächsten sind es mehrere Kilometer. Ein Horizont, der nicht von der dunklen Spur eines Waldes begrenzt wird, sondern nur von bunten Feldern, ist mir neu, die Landschaft selber erinnert mich aber sehr stark an die Nordheide. Würde es nun auch noch ein bisschen Wald geben, würde ich dahinter die Elbe vermuten. Aber die Erde ist anders, die noch nackten aber gezähmten Felder sind hell und nicht schwarzerdig wie zu Hause. Ich genieße die Weitsicht aus dem Flachland ins Flachland hinaus, den Blick auf die für mich namenlosen Orte mit ihren imposanten Kirchen und Belfrieden, den wilden, regnerischen Himmel, der von der See ins Land einfällt.
Drei große gelbe Forsythie durchschneiden das Braungrün der Felder, als wir von der Autobahn in Richtung Steenvoorde und Cassel abfahren. Wo Lille mit der feinen Rafinesse in der Architektur besticht, sind die Häuser hier nicht etwa ländlich grob, wie man es erwarten könnte von anderen Orten in Frankreich, wo nur das Paradies hinter den Mauern zählt, sondern malerisch niedlich. Es gibt hübsche kleine Häuser, in denen es kaum mehr als einen einzigen Raum geben kann, aber auch größere, neuere Häuser mit teuren Autos davor, die sich trotzdem so schön in das Ortsbild einfügen. Und immer mit zwei Schornsteinen. Die Landschaft wird etwas hügeliger und man sieht schon von Weitem immer wieder kleine Backstein-Dixie-Toiletten, die mit Blumen überladen sind. Kapellen, winzige Kapellen.
Gab es während der Fahrt immer wieder Sonnenstrahlen, die das Land in Szene setzten, begrüßt uns beim Aussteigen in Cassel natürlich ein eisgekühlter Platznieselregen. Wir ahnen schon, dass es von diesem fast himalayahaft hoch gelegenen Ort für uns heute keine Weitsicht geben wird. Felder, Kanäle, Dörfer verschwinden im Dunst.
Avec infiniment des brumes à venir…
In Cassel sehe ich das zum ersten Mal, was ich vorher auf den wenigen Bildern im Internet, die ich während meiner kurzen Reiserecherche gesehen habe, schon geahnt hatte. Dass die französischen Nordlichter noch viel pragmatischer sind als wir Fischköppe und den schönsten Platz des Dorfes, das Zentrum, natürlich als Parkplatz benutzen. Der Tourismus hier hat dreißig Jahre Rückstand; anderswo hätte man die Blechkisten dort längst untersagt, Blumenpötte und Café-Bestuhlung draufgesetzt. Hier stört man sich nicht an den Autos, die man stets im Blickfeld hat, wenn man seinen Blick über die schönen Plätze schweifen lässt.
Wir kämpfen uns zwischen den Autos hindurch rüber zum Touristenbüro und bekommen dort eine hübsch gezeichnete kleine Karte des Ortes, der schnell erschlossen ist. Eine schöne Natursteintreppe führt hoch zum „Berg“, auf dem ein Wohnhaus und eine Mühle steht. Anfang des letzten Jahrhunderts hatte der Ort 22 Mühlen, in denen Öl und Mehl hergestellt wurde. Während des Ersten Weltkrieges, als die Region jahrelang ein großes Schlachtfeld war, das Städte zerstört und das Land vergiftet hat, bezog der in Frankreich legendäre Maréchal Foch für neun Monate sein Quartier im Ort. Ein angelaufenes Monument erinnert hier oben an ihn. Und dann erreichen wir die Aussichtsplattformen an den Rändern des Felsens. Bei klarem Wetter soll man angeblich bis Amiens und weit nach Belgien hinein sehen können. Ich bezweifle das. Ich glaube nicht, dass es dort im Norden jemals gutes Wetter gegeben hat. Das ist auch der Grund, warum sich in den Stein gemeißelt auch Städte wie Liverpool und Bremen finden lassen, die nur ganz leicht als „nicht sichtbar“ gekennzeichnet sind.
Der Nieselregen hört erst auf, als wir zurück ins Dorf marschieren. Natürlich. Ich sehe es als Zeichen und fühle mich auf einmal von einer unsichtbaren Instanz seltsam beobachtet. Die Region fühlt sich jetzt auch noch an wie ein Mensch, was beunruhigend ist und uns dazu bringt, schnell weiterzufahren. Auf in Richtung Küste, nach Bergues, wo ein heller Streifen am Horizont besseres Wetter verspricht. Ha ha…
Flaches Land im Regen, vom Auto aus.
Cassel vom „Berg“ aus gesehen. Dahinter soll die weite Landschaft sein. Hinterm Regen zumindest.
Das Dorf, beziehungsweise der Haupt(park)platz.
Ah ja. Es kann nicht mehr weit sein nach Bergues. In Cassel stehen wir dort quasi schon vor der Tür.
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ot-cassel.fr
creafrance.org/fr/poi/4292/cassel