Der erste Tag, übrigens ein Sonntag
Sonntage bedeuten, dass Banken und vor allem Servicestellen des Verkehrsnetzes geschlossen haben. Wir brauchten eine 7-Tageskarte für 15€ pro Person, aber die Automaten nahmen entweder Kreditkarten oder Kleingeld. Beides hatten wir nicht und marschierten 2km zu Fuß durch die Stadt und als uns niemand Geld umtauschen wollte, kauften überall einzelne Postkarten und hatten im Laufe des Tages genug Münzen beisammen, nicht mehr jedoch alle Nerven.
Jeder Spaziergang stand unter dem Motto der Klaingeldbeschaffung und so wurde die erste Besichtung der Stadt leider Nebensache. Das blaue Meer beruhigte, als wir und ganz dicht an es setzten und zweimal aufsprangen, als die Wellen uns sehr nahe kamen. Wir wussten aber natürlich, dass sie uns nicht erwischen würden, das machten wir nur zum Amüsement der restlichen Strandbesucher…
Härter als jede Pilgerreise
Ich wollte meiner besten Freundin gleich am ersten Tag die beste Aussicht auf die Küste zeigen und so fuhren wir mit dem Zug nach Eze.
Eze ist eines der höchsten Küstenorte an der Côte d’Azur, bietet eine gelb angepinselte Kirche, ein enggassiges Dorf mit grauen und roten Pflastersteinen auf den Wegen und einem Kakteengarten als Dach.
Das Bahnticketkaufen ging gut, zum Glück gab es einen Schalter und wir waren nicht auf diese blöden Automaten angewiesen, die wieder nur Münzen und Karten nahmen.
Am späten Nachmittag landeten wir nach kurzer Fahrt in Eze-sur-Mer und wollten den Chemin Friedrich Nietzsche hoch ins Dorf nehmen. Als Ersatz für eine Pilgerfahrt, Protestanten bzw. Atheisten, die wir sind. Keiner konnte aber wissen, wir hart dieser Chemin werden würde.
Schon nach wenigen hundert Metern, die aber noch asphaltiert waren, baute ich mir eigene Serpentinen ein, um der Steigung Herrin zu werden. Von einer Straßenseite auf die andere und zurück. Das machte ich zwei Minunten lang und war dann 1. abgehängt, 2. Attraktion für andere Wanderer, 3. düselig.
Als die Hinkelsteine anfingen, war mir die Lust am Faxen machen vergangen, es war warm und anstrengend und zum Kontrast dazu war die Aussicht unglaublich schön.
Es war still, alles war nur Licht und Schatten auf den Bergen und viele Steine. Hin und wieder ein kleines Waldstück und danach wieder eine tolle Aussicht.
Als man das Dorf endlich sehen konnte, sanken wir vor Schreck auf den Weg und starrten ungläubig hoch. So weit noch.
90 Minuten sollte der Weg dauern, das wollten wir am Anfang nicht glauben und brauchten jetzt verschwitzte 110 Minuten.
Erlösung f = i[/i] soulagement m, [size=75]REL[/size]Rédemption f
Das Dorf war eine Erlösung. Unser Santiago de Compostela. Oben im Kakteengarten öffnete sich die Welt und wir fühlten uns wie Gott in Frankreich. Es war etwas diesig von der Hitze, in der die Sonne mittlerweile ganz am Rand des Bildes langsam verschwand.
In den Garten gehen die Leute nicht wegen der Kakteen, sondern nur wegen der Aussicht. Zu Recht.
Es gibt einige Ruinen, vor die man sich fläzen und Baguette essen kann , und es gibt vor allem eine Ruhezone, in der riesige holzige und wellenartige Liegen stehen, auf denen man die Sonne genießen und die Augen schließen kann. Wenn man sie wieder öffnet, schaut man mitten aufs Meer und das Cap Ferrat. Als Geräuschkulisse dient ein kleiner künstlicher Bach. Nie war Ausruhen schöner als in diesem Moment.
Das gab Kraft für einen mittlerweile beschwingten Abstieg. Eine Frau mit tomatenrotem Gesicht und Stöckelschuhen (!) kam uns noch entgegen, dann war der Chemin menschenleer und frei für einen Panoramablick, den wir uns hart erwandert hatten.
Unten am Bahnhof begannen die Mückenstiche zu jucken und taten es die ganze Woche. Zahnpasta stellte sich als leichtes Minderungsmittel heraus, aber allein die Erinnerung an diese Wanderung reichte zum Trost dafür und für Muskelkater auch.
Fazit: Man sollte sich diesen Weg ruhig antun, er ist jede Mühe wert. Abends kommt man dann zwar keine Treppe mehr hoch, aber die Endorphine verpflastern das.
Die Place Massena in Nizza
Straße im Vieux Nice
Noch am Anfang des Chemin, der Blick auf die Landschaft rechts neben uns
Mitten auf dem Chemin. Puh. Dieses Foto wurde mit letzter Kraft aufgenommen, praktisch während des Stolperns. Und alles nur für euch
Immer weiter hoch, auch in Eze noch.
Und dann das hier. Unten rechts sieht man die Bahnstrecke und den Bahnhof, parallel zum Meer.
Auf dem Weg zurück mit der letzten Helligkeit des Tages und dem Blick auf Cap Ferrat