Louis Nucéra

Ich möchte diesen Abend des Gedenkens über das, was diesmal in Nizza passiert ist, auch dazu nutzen, um an einen Schriftsteller zu erinnern, der nicht nur Nizza sehr verbunden war, sondern auch dem Radsport, welcher dieser Tage wieder durch Frankreich rollt und zeigen soll, wie schön es ist, vor allem die Provinz.

Louis Nucéra wurde 1928 in Nizza geboren, in einfache Verhältnisse hinein. In einer Zeit noch, in der man froh war, dass das größte Glück nichts kostete: Das Meer, die Sonne, das Licht auf den alten Häusern. « Nice, c’est mon livre d’images favoris. Je le feuillette en marchant », hat er einmal gesagt. Wie wunderschön das klingt.

Sein Werk widmete er auch den kleinen Leuten mit ihren großen kleinen Geschichten. Einem alten Mann etwa, der Kriegsveteran war und dann nach Hause zu seiner jungen Liebe fuhr, um zu erfahren, dass sie gestorben ist (Le Chemin de la Lanterne, 1980). Und immer wieder den « Helden der Landstraße », den Radfahrern. In Le Roi René setzte er 1976 René Vietto ein Denkmal, einem begnadeten Kletterer, der jedoch unsterblich wurde, als er bei der Tour 1934 unter Tränen den Berg hinunterrollte, um seinem Kapitän im gelben Trikot mit Defekt erst sein Vorderrad und dann das ganze Rad überließt, um schließlich hemmungslos zu weinen. Die Franzosen mögen solche Geschichten ja, und auch der junge Nucéra war schwer beeindruckt.

So fuhr er oft auf dem Rad durch die Lande, durch Frankreich und auch durch Belgien und sammelte die kleinen Geschichten am Wegesrand. Sein Buch Mes rayons de soleil beginnt mit den Worten: « Je suis venu au monde à l’ombre précaire d’une bicyclette supendue entre ciel et terre. Ce matin-là, aux dires des miens qui ne manquaient pas de lyrisme, dans la pourpre et la gaieté du levant, la nature avait l’âme en fête. (…)Bref, les chemins du paradis ne pouvaient se parer de plus de séduction. Tout était invitation au grand air. » Ein Lyriker der Sprache war er ja selber auch!

Ein Journalist von Le Parisien schrieb mal: « Molière mourut en scène. Nucéra mourut en selle ». So war es auch, denn am 9. August 2000 starb er bei einer Kollision mit einem Auto im Hinterland von Nizza.

Posthum hat man ihm fünf Jahre später den Prix du roman populiste verliehen, einen Preis, der Romane ehrt, die sich mit dem Leben des gemeinen Volks beschäftigen. Nucéra könnte nicht geeigneter sein.

:arrow_right: Nucéra in der frz. Wikipedia
:arrow_right: Mes rayons de soleil bei Google Books zum Reinlesen
:arrow_right: Artikel bei Le Parisien zu Le Roi René

Ich denke, du hast einen sehr guten Einfall gehabt. Das Nutzen von Literatur und Sport ist ein schönes Mittel um die Opfer eines Terroranschlages in einem Ort zu huldigen. Die entsetzliche Unmenschlichkeit eines mörderischen Anschlages soll uns die Schönheit eines Ortes nicht vergessen lassen. Kultur ist überdies wirksam, um den Obskurantismus zu bekämpfen.

Zweifellos ist Nizza wirklich ein Bilderbuch. Was mich angeht, mag ich auch Nizza als ehemalige italienische Stadt Es hat mir immer zum lächeln gebracht, dass Garibaldi einer der berühmten Protagonisten des italienischen Risorgimento in Nizza geboren wurde.
Außerdem soll man auch nicht vergessen, dass die Behörden von Nizza haben einen Antrag vorgelegt, damit La Promenade des Anglais auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes eingeschrieben werde

Oh ja, Nizza ist sehr italienisch. Aber wenn man von Italien aus kommt, ist Nizza (und eigentlich schon Menton direkt hinter der Grenze) sehr, sehr französisch. Eine schöne Mischung und dadurch zweifellos ein Ort der Inspiration und Schmelztiegel. Leider aber auch eine Großstadt mit großen sozialen Problemen. Nizza ist mehr als nur eine schöne Promenade und dahinter nunmal nicht voller Sonnenschein. Ich habe den Kontrast erlebt, als wir uns mal vor Jahren verfahren hatten in Nizzas Osten. Da stand man nur ein paar Straßen von einer Hauptstraße entfernt mitten in einem Ghetto und vor Schreck haben wir als erstes die Türen verriegelt. Ich mag auch gar nicht an Nizzas Norden denken, aber man muss ja. Hier hat ein anderer Sohn der Stadt eine beklemmende Kurzgeschichte verfasst, Jean-Marie Gustave Le Clézio, Nobelpreisträger. In « Ariane » (auch Name eines Viertels dort) geht es um eine Gruppenvergewaltigung in einem Keller eines HLM. Das war schrecklich zu lesen und wann immer ich später da war und von der Autobahn heruntersah auf diese weißen Klötze, musste ich daran denken. Auch das ist Nizza und ich wünschte es wäre anders.

Ja. Eigentlich denke ich, ich habe deinen Standpunkt von deutscher Muttersprachlerin und echter Frankophile begriffen. An deiner Stelle hätte ich wahrscheinlich die gleichen Gefühle und Eindrücke gehabt. Was mich angeht ist mein Eindruck ein bisschen unterschiedlich, besonders weil ich Norditalien besonders Ligurien und das Piemont viel besichtigt habe, und weil ich viele Hin- und Rückreise zwischen Torino und Nizza machte. Damals hatte ich Freunde von Torino, die auch deutschen- und französichenfreundlich sowie französisch- und deutschsprachig waren. Diese Leute besaßen ein angenehmes Ferienhaus in Nizza. Die italienische Sprache war die Lieblingssprache unserer Gespräche.
Ihre Meinung nach sei Nizza vom historischen und architektonischen Standpunkt aus italienischer als französisch. Diese Freunde haben mir gerade daran erinnert, dass Garibaldi in einer italienischen Nizza geboren wurde, die als Ironie der Geschichte von Italien und Frankreich französisch nach dem Risorgimento geworden ist.

Jedenfalls sind Eindrücke und Gefühle sehr persönlich und emotional. Darüber hinaus vertritt Norditalien ganz und gar nicht die ganze Geschichte und Architektur des Landes. Als Französin interessiere ich auch an der ausländischen geschichtlichen Vergangenheit der Städte meines Landes. Außerdem habe ich immer unterschiedliche aber auch konstruktive Meinungen mit einander konfrontieren mögen.
Ach ja, du hast Recht darauf hinzuweisen, dass Le Clezio auch ein Heimatkind von Nizza ist — …Sein literarisches Horizont überschreitet Nizza und Frankreich bei weitem. Dein Erwähnen ihres Namen war um so zufälliger als ich Buch « der Afrikaner » (l’Africain) mir kaufen als mündliche Sommerlektüre möchte. :wink:

Aber ich denke, ich sollte besser eine Rubrik über diesen Roman zu öffnen, weil ich mich zu weit von Nizza und Louis Nucéra entferne. :blush:

Wir haben schon einen: nachricht-635.html
Ich habe in der Zwischenzeit von 2008 bis heute auch noch Die Sintflut und Der Goldsucher gelesen, zwei so unterschiedliche Romane. In der Wahrnehmung von Landschaft und Umwelt finde ich sogar einige Paralleln zwischen Le Clézio und Nucéra, wobei letzter natürlich nicht das sprachliche Niveau von Le Clézio erreicht und alles viel positiver sieht und interpretiert. Bei beiden hat man aber das Gefühl vor Ort zu sein. Wenn du l’Africain gelesen hast, können wir gerne im passenden Thread weiterdiskutieren, denn auch dieser Niçois ist ein hochspannender Autor. :wink: