Algerienkrieg (franz. Kolonialgeschichte)

Ich mach hier mal einen historischen Faden auf zu Frankreich als Kolonialmacht.

Die « Briefmärkchen »-Inseln der französischen Überseegebiete in allen Weltmeeren legen bis heute Zeugnis ab vom einstigen « universellen » Anspruch der « Grande Nation » und sind die Überbleibsel des Kolonialreichs.

Die grossen « Brocken » in Afrika und Asien freilich wurden von Frankreich mit der Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit entlassen, wiewohl nur widerstrebend und in einigen Fällen unter hohem Blutzoll (insb. Indochina, Algerien).

Am folgenreichsten - und unverarbeitetsten - im französischen Bewusstsein ist dabei gewiss der Algerienkrieg (der noch vor wenigen Jahren schlicht als « die Ereignisse » bezeichnet wurde).

Dies deshalb, weil a) der Krieg Frankreich auf den Kontinent zurückwarf und damit « neu definierte » b) viele der Beteiligten, von den eingezogenen Wehrdienstpflichtigen bis zu den Flüchtlingen, noch am Leben sind c) der Konflikt sich damals « zu Hause » spiegelte und Frankreich auch auf dem europäischen Festland an den Rand des Bürgerkriegs brachte d) riesige Flüchtlingsströme sich ins « Hexagone » ergossen, die die Erinnerung an den Krieg - und die Spannungen - mitbrachten und wachhielten e)…

Und nun den hierher verlegten Teil eines anderen Fadens (übers Taboulé :smiley: ), der « schuld » ist, dass der ganze Thread hier überhaupt gezwirnt wurde.

  • Pieds Noirs bezeichnet alle Algerien-Franzosen die europäischer Abstammung sind oder in den französishen Départements Algerien die französische Staatsbürgerschaft hatten, darunter fallen insbesondere auch die sephardischen (orientalischen) Juden, die in Algerien ansässig waren, aber mit der Unabhängigkeit zusammen mit den französischen Siedlern nach Festlandfrankreich flüchteten (bzw. flüchten mussten). In diesem Sinn bezeichnet Pieds Noirs auch alle Repatriierten französischen Staatsbürger (viele siedeln im und um Marseille ). Auch die
  • Harki mussten flüchten mit der Unabhängigkeit (so sie es noch schafften und nicht umgebracht wurden). Die Harkis sind jene arabsichen bzw. berberischen Familien, die im Unabhängigkeitskrieg auf der (falschen…) Seite der Franzosen kämpften - gegen die eigenen « Landsleute ». Sie trafen - aus unterschiedlichsten Gründen - eine Wahl, nämlich jene, als Hilfstruppen die franzöischen Kolonialherren zu unterstützen und büssten dafür schwer und zwar doppelt: zunächst wurde ihre Flucht von Paris keineswegs begünstigt, danach blieben sie in Frankreich während Jahrzehnten bestenfalls geduldet, in Algerien aber galten (und gelten sie bis heute) als Verräter.

Daneben gibts hunderttausende « gewöhnliche » algerische Arbeitseinwanderer, die das Hexagone besiedeln. Viele von ihnen und ihre Nachkommen wohnen heute in den Banlieues (manchmal Seite an Seite mit den Harkis…).

es ist immer ein schweres thema, geschichte aufzuarbeiten. auch noch in heutiger zeit. eigentlich findet man da in jedem land ansatzpunkte. aber die hoffnung stirbt ja bekanntlich als letztes…

:jump: Wie hab ich sie vermisst diese Beiträge :jump:

Merci nebenstelle !
Die Schwarzfüße erkennt man nicht selten auch an ihren spanische Nachnamen… oder? warum weiß ich jetzt auch nicht… weil doch die Spanier eigentlich eher in Marokko zu Gange waren :unamused: Sie wurden sogar ziemlich unterstützt die „pieds noirs“ als „echte Franzosen“ und konnten sich mit staatlicher Unterstützung neue Existenzen aufbauen.

Harki sein hingegen war wohl einmal so etwas wie das Letzte sein in Frankreich. Ich finde es echt skandalös, dass man jene, die einen die Kastanien aus dem Feuer geholt oder auf hochdeutsch den Ar… hingehalten haben, behandelt hat wie den letzten Dreck und sie in irgendwelche Lager steckt (und später in die Banlieues verbannt) wie ja… Gefangene.

Man soll die Klappe ja nie zu weit aufmachen, wenns um das Thema geht: Aber hinter der ganze Malaise mit Indochina und Algerien und dem verdienten Ende für die Grande Nation, steckt neben dem Moloch Kolonialismus vor allem auch eine sehr rassistische Arroganz.

Man darf dabei auch nie vergessen, dass es vor allem die Truppen aus den kolonialisierten Ländern waren, die mit De Gaulle an der Spitze Frankreich befreit haben. Eine Tatsache die oft vergessen wird hinter der Glorie von Resistence etc.

Zum Text in rot: meinst du nach dem Algerienkrieg? Habe ich also richtig verstanden, dass du meinst, die Pieds-Noirs hätte man geholfen und die Harkis hätten man in die Banlieues weggedrungen? Stimmt aber nicht. Zu den Harkis kann ich nichts sagen, ich kenne ihre Geschichte nicht, aber die Pieds-Noirs hatten es auf keinen Fall leicht. Diese hässliche Betonhochäuser in den Banlieues wurden eben auch für sie gebaut (die Harkis waren 90.000, die Pieds-Noirs 10 mal so viel), eben weil keiner Franzose sie sehen und neben sich haben wollte. Sie wurden überall verachtet und ihnen wurde vieles abgelehnt, z.B. die Anmeldung der Kinder in dieser oder jener Schule.

Unser anderswo schon zitierter « Freund », der ewige Bürgermeister von Marseille und spätere Innenminister von Mitterrand, Gaston Deferre, beschied den Pieds Noirs zunächst, sie sollten sich irgendwo ansiedeln, nur nicht in seiner Stadt! Und er erntete damit Unterstützung bei einem Teil seiner - linken - Klientel, die in den Pieds Noirs wohl vor allem kleinbürgerliche, rassistsiche Kolonisatoren sah, mit denen sie nichts zu tun haben wollte.

Gleichwohl schafften es die Pieds Noirs über die Jahre besser, sich zu integrieren als die Harkis, n’est-ce pas Sonka?

In Marseille jedenfalls hatte ich den Eindruck, viele seien heute in der Wirtschaft erfolgreich und auch in den öffentlichen Ämtern stark vertreten.

Ja! Also besser als die Harkis weiss ich nicht, da ich wie gesagt zu den Harkis nichts weiss. Gut integriert und erfolgreich aber wohl. Aber wie gesagt kommt es nicht davon, dass man ihnen geholfen hat, sondern dass sie sich selbst geholfen haben. Die sind glaube ich eine sehr unternehmerisches Volk, deshalb die vielen Geschäftsmänner unter ihnen.

Falls Cristobal die Integration der Spanier damals in den französischen Départements Algerien meint:

Tatsächlich erhielten die europäischen Siedler, unter denen die Spanier nach den Franzosen die stärkste Gruppe stellten, staatliche Unterstützung und automatisch die französische Staatsbürgerschaft, wovon die eigentlich einheimischen Araber und Berber in diesem afrikanischen Teil der französischen Republik nur träumen konnten.

Gute Frage, warum so viele Spanier? Ich weiss es auch nicht. Die traditionnellen Bindungen ums Mittelmeer dürften eine Rolle gespielt haben, aber es gab wohl auch innenpolitische, spanische Gründe für diesen Exodus?

Viele der europäischen Siedler kamen auch aus Italien, manche selbst aus Deutschland. Unter den ursprünglichen Franzosen, die glaub ich nur etwa die Hälfte aller Siedler ausmachten, waren es besonders viele Korsen und Elsässer (nach der Annexion von Elsass/Lothringen durch Deutschland 1871).

Algerien ist auch insofern Teil der deutschen Geschichte, als in Sidi bel Abbes das Hauptquartier der Fremdenlegion war und diese bekanntlich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Deutschland rekrutierte (zum Teil direkt in den Gefangenenlagern).

Später kam eine Generation von deutschen Jugendlichen nach, die aus Enttäuschung über das Deutschland der Fünfziger Jahre* oder aus persönlichen Gründen (Probleme mit der Polizei oder der Liebe oder so… ) die Heimat verliess und Abenteuer und « Vergessen » suchte in der Legion. Das ging soweit, dass in einigen Einheiten der französischen Fremdenlegion während des Algerienkriegs die Kommandi auf deutsch! gegeben werden konnten :open_mouth: um so den Feind zu verwirren.

*warum eigentlich, war doch Wirtschaftswunder etc? Kann mir dieses « Enge »-Gefühl im damaligen Deutschland irgendwer erklären?

ehemalige frontsoldaten, die im frieden nicht klarkamen.
kriminelle auf der flucht. leute , die die demokratie nicht unbedingt mochten, etc. andererseits gab es sogar welche, die freiwillig in die junge ddr rübergingen.

Ahhhh Merci Sonka, ich lass mich gerne aufklären! Umso schlimmer also, wenn die pieds noirs mies behandelt wurden, obwohl sie die Speerspitze der Kolonialisation waren. Um wieviel schlimmer muss es da erst den Harkis ergangen sein (ansatzweise hab ich das schon mal gesehen in dem Film da: Leila - Die Tochter des Harki)

Schwarzfüße ist ja wohl auch ein eher abwertender Ausdruck, der in etwa bedeuten soll, dass sie, die sie ihre Füße auf den schwarzen Kontinent gesetzt haben jetzt mit ebensolchen Füßen gebrandmarkt durchs Leben laufen (auch hier lasse ich mich gerne eines besseren belehren)

Die deutschen Kriegsheimkehrer waren nicht gerade gesegnet mit Freude und Hoffnung. Wer es nicht geschafft hat das Erlebte zu verdrängen und so tun als ob - wie die meisten - der ist wohl vor die Hunde gegangen oder zur Fremdenlegion. Ausserdem gab es ja auch junge Leute die gelernt habe Nationalsozialismus oder Tod oder nichts anderes kannten als Militär und Drill und mit normalen Leben nichts anfangen konnten.

:open_mouth: :confused: Na und… Brecht zum Bleistift und der war kein Frontsoldat, Krimineller oder mochte die Demokratie nicht

Darüber gab es neulich mal einen Beitrag bei Karambolage: http://www.arte.tv/de/Alle-Rubriken/2925204.html

ich hab ja auch auf die „enge“ der republik geantwortet.

und dann noch:
algerier wurden besonders gern im ersten grossen weltkrieg dort eingesetzt, wo es am schlimmsten kommen sollte. denn um die war es ja nicht schade, dachte man damals.

aber dies war generelles denken, england setzte in solchen augenblicken gerne neuseeländer ein.

frankreich und england gemeinsam nutzen widerrum die „kanadier“ dazu.

ich lese gerade in einem buch aus dem jahre 1915 über die ersten schlachten des grossen krieges. stellungnahme eines kanad. offiziers zu den vielen afrikanischen toten nach einer schlacht in nordfrankreich:

« mit sowas muss man kämpfen. als kononenfutter gerade gut genug, das schont die guten mannschaften… » unter protest reihten sich die hellhäutigen offiziere beim gefangentransport zwischen die « dunklen » ein.

an so etwas erinnert man sich.

:exclamation: das wusste ich aber gar nicht. Ist aber irgendwie logisch : Nach der Unabhängigkeit wollten die Algerier keine „Vertreter der Kolonialmacht“ aus europäischer Abstammung auf ihrem Boden dulden und nicht nur die herkünftlichen Franzosen fühlten sich in Lebensgefahr…

Da ich fast keine Ahnung vom Thema habe, kann ich mich irren aber ich weiss, dass auch auf „hexagonalem“ Boden die spanische Einwanderung wegen des spanischen Zivilkriegs von 1936 und Francos Diktatur sehr stark gewesen ist. Es sind damals überall in Frankreich Einsiedlerlager eingerichtet worden, um die Massenflucht aus Spanien aufzunehmen.

Ob schon zu dieser Zeit oder nach der Besatzung Frankreichs 1940 manche Spanier nach Algerien übergesiedelt sind ?

Vielleicht spielte das alles auch eine Rolle, aber viele Spanier sind noch früher eingewandert. Meine Nachbarin wurde in den 1920er Jahren in Algerien geboren und sie ist von spanischer Herkunft. Ich glaube, es waren ihre Eltern, die eingewandert sind, oder vielleicht gar ihre Grosseltern. Sicher ist aber, dass die Grosseltern damals auch in Algerien gelebt hatten. Ich frage mal nach, wenn ich sie nächstes Mal sehe.

Ja, ich vermute auch, dass die spanische Einwanderung in Algerien schon bald nach der Eroberung durch die Franzosen begonnen hat, also schon im 19. Jh.

Wie stark aber und vor welchem innnenpolitischen Hintergrund in Spanien…hmm… keine Ahnung…

Dass es dann später, im Zusammenhang mit dem spanischen Bürgerkrieg, nochmal eine Migrationswelle gegeben hat, scheint mir ebenfalls nicht ausgeschlossen.

So oder so, bin gespannt auf den Bericht Deiner Nachbarin, Sonka!

Schwarzfüße spanischer Herkunft sollen sich zwischen 1830 (Anfang der Kolonisation) und 1914 in Algerien niedergelassen haben.
:wink:

Camus’ Großmutter war auch eine (strenge) Spanierin, wie er in Le Premier Homme schildert. Das Buch gibt auch einen guten Einblick in das Leben der Franzosen in Algier.