Hier ein Sommerbuch für die letzten schönen Tage:
Die Liebenden von der Île de Ré - von Gabriele Jaric
Aufbau Taschenbuch, 384 Seiten, August 2015
Enttäuscht von der Liebe zieht die Endzwanzigerin Charlotte von den USA zurück nach Europa. Dabei besucht sie erst ihre deutschen Großeltern und dann ihre französischen, bevor sie auf der Île de Ré wieder ihrem Onkel Jo in seinem Hotel hilft und nebenbei ihr eigenes aufbauen möchte. Zunächst unerwünschte Hilfe erhält sie von Rafi, ihrer Jugendliebe. Und dann ist da auch noch das große Familiengeheimnis - nein, ich korrigiere - das Große Familiengeheimnis rund um den Unfall, der ihrem Bruder als Kind vor ihrer Geburt das Leben kostete. Und irgendwie hat das sowohl mit ihrer deutschen als auch mit ihrer französischen Familie zu tun, die seitdem kein Wort mehr miteinander reden. Diesem Geheimnis auf die Spur kommt sie mit Hilfe von Gemälden, die ihre Alkoholiker-Mutter, die mittlerweile verstorben ist, auf der Insel zurückließ. Während Charlotte versucht ihr Leben zu heilen und ihre Familie wieder zusammenzuführen, fährt der Leser oft mit ihr über die Île de Ré, lässt sich von Wind und Wetter durchpusten und von den menschlichen Beziehungen und Geschichten mitreißen.
Vorweg: Es ist nicht die Liebesgeschichte, die hier heraussticht und es ist auch nicht diese Geschichte, die im Mittelpunkt des Romans steht. Die menschlichen Beziehungen und Personenkonstellationen, der Umgang miteinander und was sie prägt stehen hier im Vordergrund und glänzen durch eine Tiefe, die man in einem Roman dieses Genres eigentlich nicht sofort erwarten dürfte. Das senkt das Lesetempo; der Fokus auf die Charaktere geht zu Lasten der Geschichte und der Spannung. Dafür trifft man aber auf interessante Verhältnisse: Da wären zum Beispiel die unerfüllte und unerwiderte Liebe zwischen Charlottes Onkel Jo und ihrer Freundin Lana oder die Freundschafts- und Trennungsgeschichte ihrer beiden Großelternpaare, die sich erst nach und nach entfaltet, nicht aber bevor das große Familiengeheimnis um einen tragischen Autounfall geklärt ist. Der heimliche Star ist das Kind Julie, die Tochter von Charlottes Ex-Freund in den USA. Sie ist mit viel Liebe zum Detail dargestellt und bereichert das Buch ohne dass sie auch nur ansatzweise eine Funktion für die Geschichte hätte. Es sind neben der Landschaft also vor allem die Personen, die das Buch für sich einnehmen.
Leider birgt es auch ein paar Schwächen. Ausgerechnet die Protagonistin Charlotte wirkt nicht rund, mancher Dialog verliert sich in Einzelheiten und die Handlung, die die Personengeschichte umrahmt, ist schwach: Charlottes Hotelbau ist für einen Rahmen nicht geeignet und dass Charlotte mit Rafis Hilfe anhand von Gemälden ihrer Mutter dem Familiengeheimnis auf die Spur kommt wie auf dem Klappentext angegeben, stimmt auch nicht.
Insgesamt ist « Die Liebenden von der Île de Ré » aber ein gelungenes Debüt, das die Schächen durch die Stärken wettmacht und prädestiniert für eine Fortsetzung. Für weitere schöne Lesestunden, aber bitte diesmal mit einer Insel im Sommer. Und mit einem passenderen Titel.